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gerhard
Sie können mich Gerhard nennen, oder bei meinem Spitznamen Akku. Seit drei Jahren kenne ich mich mit Akkus aus. Mein Freund, bei dem ich geringfügig beschäftigt bin, hat mir ein Motorrad geschenkt. Ich wollte ein sehr altes elektrisches Fahrzeug, dieses hier ist 12 Jahre alt und wiegt 270 Kilo. Es ist eines der ersten Elektrofahrzeuge, die in der Bauform als Elektromotorrades gebaut wurden. Die Firma heißt Vectrix, eine amerikanische Firma, die in Polen diese Motorräder gebaut hat. Damals hat es noch keine Lithium-Ionen gegeben, deshalb wurde der Roller damals mit 1,2 Volt Nickel-Metall-Hydrid Zellen gebaut. 110 Zellen die in Serie geschalten sind. Weltweit wurden 3.500 dieser Roller verkauft. Allein, das hat nicht gereicht fürs Geschäft. Ich habe hier inzwischen Lithium-Eisen-Sulfat-Zellen eingebaut. Dadurch ist der Roller leichter geworden und ich komme, wenn ich aggressiv fahre, 150 km weit. Wenn ich normal fahre, reicht der Akku bis zu 230 km.
Ich bin eine eierlegende Wollmilchsau und ich habe keine Feinde. Meine Lebensgeschichte ist lang und kompliziert. Aufgewachsen und in die Schule gegangen bin ich in Graz. Bis zur Scheidung meiner Eltern hatte ich nur Einser im Zeugnis, dann bin ich mit meiner Mutter ins Dorf gezogen und in der Sonderschule gelandet. Mein Vater war Alkoholiker und Schläger, ich habe die Schule geschmissen und bin zu ihm gezogen. Ich habe eine Mechanikerlehre begonnen, vom Vater (er war Hausmeister) Mäh- und Reparatur-Arbeiten übernommen, eine Lehre als Bautischler angefangen. Lang war ich als Schausteller bei Märkten tätig, allerdings war ich da selten angemeldet. Einmal hatte ich einen Unfall. Ein 17.400 kg schwerer LKW war hochgebockt, das Getriebe musste raus und die Kupplung repariert werden. Der Hubwagen ist runtergeknallt, das Trittbrett ist mir ins Genick gefahren – und ich habe mir das Kreuz gebrochen. Vier Monate war ich im Gips, die Genesung hat drei Jahre gedauert.
Einmal war ich fünf bis sechs Jahre lang obdachlos. Der Start war im Frühling, da konnte ich mich langsam an die Situation gewöhnen. Wenn Du auf der Straße lebst und keine Unterstützung hast, dann ist es sehr schwierig. Das habe ich schon erlebt. Im Park schlafen ist das Schlimmste, aber auch das habe ich öfter machen müssen. Irgendwann habe ich herausgefunden, dass ich für eine kleine Unterstützung nur einen Nicht-Meldeschein ausfüllen muss. Ab da war’s dann leichter. Und dann habe ich mich in einem unbewohnten Haus eingerichtet. Ich habe einen Schlüssel aus Alu am Flohmarkt gefunden. Ich habe ihn gefeilt, bis er gepasst hat und dann konnte ich sogar hinter mir zusperren. Und ich hatte Glück: Im Stiegenhaus war Licht und im Keller Wasser. Auch Betten gab es genug. Ich habe mir in dem Haus ein Zimmer eingerichtet und insgesamt fünf Jahre so gelebt. Einmal gings besser, einmal schlechter. Man braucht schon ein gewisses Vertrauen ins Leben. Meines ist durch Zufälle so geworden. Wenn ich etwas nicht ändern kann, kommt es zur Akzeptanz.
Damals bin ich oft ins Gasthaus ums Eck, um mich aufzuwärmen. Eine Tschumsn mit alten Einbaumöbeln, ziemlich abgeranzt. Dort waren Trinker und andere Obdachlose. Ich bin aufgefallen, weil ich nichts getrunken habe. Keinen Alkohol, nur meine Cola. 400 Schilling Unterstützung hat es im Monat gegeben. Und eines Tages hat mir einer der Alkoholiker ein Angebot gemacht: Wohnung gegen Essen. Ich hatte damals einen Notgroschen von 440 Schilling, konnte bei ihm wohnen und habe Essen gekauft und gekocht. Das Zusammenleben hat viele Jahre lang gut funktioniert. Er war Alkoholiker, aber ein gleichmäßiger. Er ist nie auffällig geworden, im Gegensatz zu meinem Vater, der Intervalltrinker war. Irgendwann ist er gestorben und nachdem ich schon sieben Jahre bei ihm gewohnt hatte, konnte ich die Wohnung offiziell übernehmen.
Ich hatte Arbeit und war arbeitslos im Wechseltakt. Vor meiner Arbeit hier im DRZ (Demontage und Recyclingzentrum - ein Beschäftigungsbetrieb) war ich 10 Jahre lang arbeitslos. Meine Arbeitslosigkeit habe ich im Internet verbracht, mit dem Aufnehmen und Wiedergeben von Computer-Spielen und Programmen und mit meinem Hobby als Amateurfunker. Über das Funken habe ich auch meine geringfügige Beschäftigung gefunden und den Freund, der mir das Motorrad geschenkt hat.
Bei der Schaustellerei habe ich gelernt, mit Menschen umzugehen. In der Obdachlosigkeit habe ich gelernt, mit wenig auszukommen. Wenn es nicht genug zum Essen gegeben hat, bin ich zur Caritas. Dort hat ein Essen einen Schilling gekostet. Den hast du bald zusammen, ein paar Bierflaschen sammeln reicht. Für diesen Schilling hast du ein komplettes Essen bekommen und warst satt. Nur Zigaretten habe ich mir immer gegönnt. Dadurch, dass ich als Kind geraucht habe, habe ich damit nie aufgehört. Aber ich habe mir meine Zigaretten meistens selbst gedreht.
Ich war schon immer für Nachhaltigkeit. Wenn du obdachlos bist, dann lernst du das automatisch. Hier sehe ich außerdem viel neue Technik und ich lerne immer was Neues. Am liebsten würde ich bis zur Pension hierbleiben. Heute sind in der Arbeitswelt Spezialisten gefragt, mit hohem Wissen auf einem Speziellen Gebiet. Ich weiß viel und ich kann viel, aber ich bin nirgends Spezialist.
Hier im DRZ wird mein Wissen gebraucht. Und ich lerne immer wieder was Neues. Sachen aus dem Müll werden angeschaut, was noch gut ist wird repariert und aufgehübscht. Da drüben steht zum Beispiel eine Hallenkehrmaschine, mit Wassertank. Die kostet neu 2800 Euro. Jetzt habe ich sie wieder hergerichtet, den Schlauch getauscht und ein paar Kleinigkeiten repariert. Nur die Batterie muss neu eingesetzt werden, dann fährt sie wieder.
Ich ahbe Automechaniker gelernt, war lang Rohrschlosser – und als Schausteller muss man sowieso alles reparieren können. Am Freitag ist Show, da muss alles funktionieren. Da musst du halt Improvisieren.
Im Leben gleicht sich alles aus. Ich habe Phasen er Obdachlosigkeit erlebt, Phasen von Arbeit, von Beschäftigungslosigkeit und intensive Hobbys. Das geht nur in den Phasen, wo eine bestimmte Sicherheit da ist. Jetzt bin ich seit einem halben Jahr hier im DRZ (Demontage und Recyclingzentrum - ein Beschäftigungsbetrieb) beschäftigt, Mitte Oktober rennt mein Vertrag aus. Ich hoffe auf Verlängerung, denn mit 1.1.2025 kann ich in Pension gehen. Das sind nur noch 1.5 Jahre. Am liebsten würde ich bleiben, ich hoffe auf eine Vertragsverlängerung. Hier habe ich relativ viele Freiheiten. Wenn ich ein Gerät sehe, das sich reparieren kann, dann mache ich das. Ich wollte immer verstehen wie die Dinge funktionieren. Aber heute bei den Handys, da sind die Bauteile so klein, dass man sie nur Spezialwerkzeug und Mikroskop bearbeiten kann. Die Industrie schaut darauf, dass die Geräte nicht mehr reparierbar sind. Ob ich dabei viel oder wenig verdiene, ist für mich nebensächlich.