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anna

Nehmen wir zum Beispiel die MA40, das Sozialamt. Da kann es dir passieren, dass du wie eine Aussätzige behandelt wirst, die den österreichischen Staat schädigen will. Ich denk mir: Oida, ich arbeite, ich zieh vier Kinder alleine groß, wen bitte schädige ich? Keine Ahnung. Aber du wirst so behandelt. Du wirst beschämt. Und in Folge gehen dann oft die Leute dort schon so aggressiv hin, das es unweigerlich zum Konflikt mit der Sozialarbeiterin kommen muss.

Das ist so eine Betonwand, und die gehört aufgebrochen. Die Menschen, die Mindestsicherung beziehen, das sind ja zu 90 Prozent Aufstocker, also Leute wie ich bis vor kurzem, die arbeiten und ohnedies ein Gehalt haben, aber aufstocken müssen.

 

Diese Ämter müssten uns eigentlich einbinden in die Arbeit. Wir wissen, was möglich ist. Wir wissen, was wir brauchen. Und wir wollen keinen Krieg am Amt haben. Und auch die Sozialarbeiterinnen dort sollten bessere Arbeitsbedingungen bekommen.

Durch meine zwei afrikanischen Ehemänner bin ich ja eine Art Fremdenrechts-Expertin geworden. Und ich hab dann auch etliche Freundinnen zu der berüchtigten MA35 begleitet, zu der Wiener Magristratsabteilung für Einwanderung und Staatsbürgerschaft. Diese Frauen haben bestätigt: Es ist ein riesengroßer Unterschied, wenn da jetzt jemand mitgeht, noch dazu eine Österreicherin. Man nimmt sie dann überhaupt erst wahr als Menschen, hört sie überhaupt erst an. Ohne meine Begleitung wäre für sie vieles nicht möglich gewesen.

Aus diesen und ähnlichen Erfahrungen mit Behörden und der Auseinandersetzung damit in einer Forumtheater-Arbeit ist dann bei der Armutskonferenz das Projekt "mitgehn" entstanden. Ehrenamtliche begleiten Armutsbetroffene zu diversen Terminen bei Ämtern oder im Krankenhaus oder anderswohin, wobei allein ihre Anwesenheit hilft, da Stress rauszunehmen, und dass die Leute auch besser zu ihren Ansprüchen kommen.

Den Grundstein meiner Armut seh ich in der Rückkehr meiner Familie mütterlicherseits 1946 aus dem Exil in England. Meine Großmutter hat ihre Wohnung nicht zurückbekommen, und sie war dann einfach obdachlos. Erst in den 1950er Jahren hat sie eine geringe Ablöse erhalten. Meine Mutter ist in Pflegefamilien groß geworden, mit viel Misshandlugen. Sie hat dann meinen Vater geheiratet, der kam aus einer sozialistisch-kommunistischen Familie, wurde mit 17 zur Wehrmacht eingezogen. Er wollte nicht für die Nazis kämpfen, hat sich schwer verletzen lassen und hat nur knapp überlebt. Und diese zwei Schwersttraumatisierten heiraten also und zeugen zwei schwersttraumatisierte Kinder. Und die Geschichte geht dann so weiter, dass ich ebenso einen schwersttraumatisierten Mann heirate, einen Flüchtling aus Algerien, die Mutter Waise, der Vater im Algerien-Krieg fast zu Tode gefoltert. Und was bei all dem herauskommt, ist eine wunderbar dysfunktionale Familie.

Mein erster Mann war eigentlich ein toller Mensch, Künstler, Innenarchitekt, Choreograf, fünf Fremdsprachen. Er hat uns mit seiner Lebensfreude unglaublich bereichert: Feiern wir, machma, essen wir gut, das Lebens ist wunderbar! Und ja, dann war es doch nicht so wunderbar. Er hat eine schwere Form von Multipler Sklerose gehabt. Und die geht einher mit einer psychiatrischen Erkrankung, was aber damals noch nicht ernst genommen und auch nicht behandelt wurde. Kurz gesagt: Meine drei Töchter und ich haben dann Gott sei Dank in einem Frauenhaus überlebt. Und er ist an den Folgen dieser Krankheit gestorben, mit knapp 48.

Ich war dann noch einmal eine Zeit lang verheiratet, mit einem Mann aus Westafrika, der sehr lange im Asylverfahren war. Und ich bin da auch noch einmal schwanger geworden in dieser wirklich schwierigen Situation, und hab meinen wunderbaren, heute 15jährigen Sohn bekommen. Aber wie gesagt, die Ausgangslage war eher so: Oh mein Gott, ich schaff drei Kinder nicht, wie soll ich vier Kinder schaffen, das geht sich emotional und finanziell gar nicht mehr aus.

Ich hab bis vor kurzem, jetzt bin ich in Pension, als Textilrestauratorin gearbeitet, Teilzeit, 20 Stunden. Begonnen hab ich in der Kaiserlichen Wagenburg mit der Restaurierung der Kutschentapezierungen, Pferdegeschirr, Sättel und Kostüme. Dann bin ich aber krank geworden von den vielen Pestiziden, mit denen diese Dinge jahrzehntelang behandelt worden sind.

Begonnen hab ich in der Kaiserlichen Wagenburg mit der Restaurierung der Kutschentapezierungen, Pferdegeschirr, Sättel und Kostüme. Dann bin ich aber krank geworden von den vielen Pestiziden, mit denen diese Dinge jahrzehntelang behandelt worden sind.

 

Also bin ich ins Theatermuseum versetzt worden.

Für 20 Stunden habe ich gar nicht so schlecht verdient, aber natürlich war das zu wenig, wenn du vier Kinder durchbringen musst. Also habe ich nicht wenig Zeit und Nerven der Bürokratie opfern müssen. Denn jeder Antrag ist extra zu stellen, und natürlich für jedes Kind auch extra, also vier Mal.

Es gibt einen Rezeptgebührenantrag, aber die Einkommensbelege wie Waisenpension und Unterhaltsvorschuss und mein Gehalt müssen auch für jedes Kind immer aktuell vorgelegt werden. Und für jede Beihilfe müssen immer seitenlange Antragsformulare ausgefüllt werden. Zum Beispiel für Wohnbeihilfe gibt es ein eigenes Formular. Und für die Mindestsicherung ein anderes mit dem gleichen Inhalt.

Man kommt in einen enormen Stress rein, weil es praktisch unmöglich ist, immer alles abzuschließen. Und natürlich war das immer verbunden mit der Existenzangst: Wenn ich irgendeine Frist versäume, irgendein Dokument nicht krieg, dann bekomm ich kein Geld.

Dieser Stress war schlimm. Und ich bin mir oft auch so schikaniert vorgekommen. Ich war ja schon in der Armutskonferenz aktiv und dann sagt da ein Kollege vom Ministerium, es gibt ein komplett ausgearbeitetes One-Stop-Konzept, das liegt seit 2008 oder 2009 in der Schublade und wird nicht umgesetzt.

 

Ich war ja schon in der Armutskonferenz aktiv und dann sagt da ein Kollege vom Ministerium, es gibt ein komplett ausgearbeitetes One-Stop-Konzept, das liegt seit 2008 oder 2009 in der Schublade und wird nicht umgesetzt.

 

One Stop heißt zum Beispiel: Das Finanzamt hat alle meine Unterlagen, und ich krieg dann vom Finanzamt einen einzigen Bescheid, und der reicht, um damit Mindestsicherung zu beantragen, Wohnbeihilfe zu beantragen, Rezeptgebührenbefreiung zu beantragen und so weiter. Das wär dann nicht meine Holschuld, sondern eine Bringschuld.

Ich bin zwar die meiste Zeit allein mit vier Kindern dagestanden, aber ich bin ein total sozialer Mensch, also war ich nie wirklich allein. Da ich mich auf meine Familie wenig verlassen konnte, da sie kein Vertrauen in mich hatten, hab ich einen großen Freundeskreis aufgebaut, viel auch in der Nachbarschaft. Wir Alleinerziehenden haben uns sehr viel unterstützt. Sonst hätte ich nie ins Theater oder ins Kino gehen können. Und wir haben es zum Beispiel geschafft, mitten in diesem ganzen Gemeindebau-Rassismus einen Spielplatz zu erkämpfen.

Nach dem Gemeindebau bin ich in ein Frauenwohnprojekt gezogen und da hat es auch zwei Frauen gegeben, die mich sehr unterstützt haben. Das war gut. Aber mit der Zeit hab ich mir die Miete dort nicht mehr leisten können. Da war ich schon nah an der Obdachlosigkeit. Und darum bin ich urglücklich, dass mein Sohn und ich jetzt in der Schrebergartensiedlung wohnen können.

Meine Großmutter war Geigenprofessorin und Konzertmeisterin. Und in dieser Gegend hier bei der Alten Donau waren viele Musiker-Kollegen, die sich Schrebergärten gepachtet haben, nicht nur zur Erholung, sondern auch, damit sie üben können, ohne jemanden zu stören. So rund um 1950 hat meine Großmutter erfahren, dass dieser Garten frei ist. Sie hat einige Notenblätter aus der Sammlung meines Großvaters verkauft und ihn gepachtet. Und meine Eltern konnten den Garten in den Nullerjahren kaufen.

Jedenfalls war es das Sommerhäuschen meiner Eltern, das ich nicht nutzen konnte mit meinen Kindern, weil meine Mutter nicht solidarisch war mit uns, uns nicht ausgehalten hat. Sie wollte es dann sogar dem Tierschutzverein vermachen, aber mein Vater hat das zum Glück verhindert. Und so konnte ich mit Unterstützung meines Bruders dieses alte Tiny-Haus winterfest machen und hier einziehen.

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