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LESEZEIT: 04-06 min

bine

Ich hab da so einen Never-Come-Back-Container in mir, einen Sarg. Da hab ich als Mädchen alles hineingestopft. Was mich belastet hat, was mir Schlimmes passiert ist. Ich bin ja viel geschlagen worden. Und sonst noch einiges. Dieser Sarg ist fest verschlossen gewesen. Ich hab mir immer gedacht, den bringt eh keiner auf.

Ich hab ein paar Mal Psychotherapie angefangen und nach zwei, drei Stunden wieder abgebrochen. Aber jetzt bin ich bei einer Therapeutin, die schafft es, diesen Sarg Stück für Stück zu öffnen. Ich muss schon mithelfen, eh klar. Es reicht, den Deckel etwas zur Seite zu schieben, um zu sehen, was da drinnen ist. Man muss ja nicht gleich hineinhupfen.

Ursprünglich stamm ich aus dem Waldviertel, von Gmünd. Ich bin adoptiert. Meine Mutter ist verstorben wie ich fünfzehn Monate alt war. Ich bin bei der Großmutter aufgewachsen. Es ist mir nicht so gut gegangen dort, weil die eher einen gehaut hat. Ich hab mich dann mehr in der Kirche herumgetrieben, weil ich gewusst hab, da können sie mir nix tun.

Bei meiner Großmutter haben noch Söhne von ihr gelebt und ich war halt der Trottel dort. Die Sklavin, kann man sagen. Während die Söhne von der Großmutter daheim geblieben sind, hab ich mit dem Adoptiv-Großvater in den Wald fahren müssen, um Holz zu machen. Oder ich hab Gras für die Ziegen holen müssen.

Mein Wunsch war immer, Pfarrerin zu werden, Theologie zu studieren. Unser Pfarrer hat natürlich gesagt, die katholische Kirche hat keine Pfarrerinnen. Ist mir wurscht, hab ich gesagt, ich konvertier eh. Ich bin wie gesagt immer ministrieren gegangen, hab meine Jungschar geführt, auch bei den Pfadfindern war ich, alles nur, damit ich mit der Familie nicht so viel zusammen sein muss. Das Pfarrhaus war mein Schutzraum sozusagen.

Wie ich sechzehn war, hat eine Freundin bemerkt, irgendwas passt nicht mit mir. Weil ich hab damals zu reden aufgehört. Ich hab nur Hallo und Grüß Gott, Ja, Nein, Bitte und Danke gesagt, mehr nicht. Wir sind also zum Facharzt gefahren, und von da an hab ich Tabletten gekriegt, Diagnose Borderline-Syndrom.

Ich hab in einem Forstbetrieb gearbeitet, das war cool, das hat mir getaugt, da war ich glücklich, aber ich hab das aufgeben müssen, um eine Großtante zu pflegen. Ich bin zu ihr gezogen, für zwei, drei Jahre, das war alles sehr mühsam. Die Großtante hat einen Schaganfall nach dem anderen gekriegt und das letzte war ein Gehirnschlag, das hab ich nimmer gepackt.

Ich bin nach Eggenburg gekommen, da war ich zwei Monate im Spital und zehn Monate im Übergangswohnheim, dann bin nach Schiltern ins Arbeitstrainingszentrum, für 18 Monate. Ich hab dort im Kopier- und  Versandservice gearbeitet, ich hab ein Praktikum bei einer Firma gemacht, aber keinen Job bekommen.

 

Das Schlimme war, wenn ich mich vorstellen war, haben die Leute in meinen Lebenslauf ATZ Schiltern gelesen, und das war natürlich verschrien, weil jeder gewusst hat: aha, psychisch erkrankt.

Das Schlimme war, wenn ich mich vorstellen war, haben die Leute in meinen Lebenslauf ATZ Schiltern gelesen, und das war natürlich verschrien, weil jeder gewusst hat: aha, psychisch erkrankt.

Man hat sich fünf Mal wo vorstellen können, und fünf Mal hat es geheißen: Nein, psychisch erkrankt, die können wir nicht brauchen. Das war dann immer wieder so ein Tiefschlag.

Ich bin nach Krems gezogen, hab mir die Wohnung mit einer Freundin geteilt, war eine Zeit lang bei einer archäologischen Ausgrabungsfirma, das war interessant, mit einem Zahnbürstl Knochen putzen, dann bei McDonalds, das war weniger interessant, viel Stress und für 30 Stunden nur 7.500 Schilling.

In Krems bin ich endlich konvertiert. Wenn ich schon nicht Pfarrerin werden kann, dann wenigstens evangelisch. Ich hab mich dort mit der Pfarrerin irrsinnig gut verstanden, die hat dann leider ihren zweiten Mann gefunden und es ist zum Bruch gekommen. Auch die Freundin, mit der ich die Wohnung geteilt hab, hat wen kennen gelernt und mich dort allein lassen. Super, wie zahl ich das jetzt alles? Der nächste Scherbenhaufen.

Ich hab binnen zwei Wochen 15 Kilo verloren, bin zwei Mal dem Tod von der Schaufel gesprungen, bin ins Spital nach Krems gegkommen. Danach hatte ich eine billigere Wohnung, aber keinen Job mehr. Ich bin den ganzen Tag bei der Tankstelle herumgehängt und hab Bier getrunken. Das hab ich ein dreiviertel Jahr lang so gemacht, dann hat mein Arzt gesagt: Bine, wenn du so weitersaufst, bist in zwei Wochen am Friedhof. Das wollt ich dann auch nicht. Es ist mir sauschlecht gegangen, ich hab Angstzustände gekriegt und bin in der Psychiatrie in Tulln gelandet.

Ich hab heute noch saisonelle Depressionen, das heißt, Herbst und Winter geht es mir nicht gut. Da will man nicht aufstehen, nichts hören, nichts sehen. Aber ich hab gelernt, wie ich damit umgehe. Vor allem eine Tagesstruktur ist wichtig, so wie ich das hier im Werkraum Tulln habe, das erspart mir viel. Es erspart mir vor allem das Krankenhaus. Und die Arbeit mit dem Filz taugt mir sehr, da bin ich insgesamt sehr dankbar.

Was ich auch gelernt hab, und da bin ich echt stolz auf mich: Mit wenig Geld durchzukommen. Ich konnte das vorher nicht, da hab ich eingekauft und eingekauft und dann war spätestens am Fünfzehnten alles weg. Da bin ich jetzt total diszipliniert. Zum Beispiel heute, da hab ich den letzten Erlagschein überwiesen, das war die Telefonrechnung, da geh ich dann raus aus der Bank und mach die Faust: Ja, ich hab's gezahlt!

Mittlerweile krieg ich die Fixe, die Mindestpension, das sind 977 Euro, und vom Werkraum hier bekomm ich noch 85 Euro erhöhten Anerkennungsbeitrag. Seit sechs Jahren wohne ich in einer 42-Quadratmeter-Wohnung, 480 Euro Miete, Strom und Heizung halt extrig. Dann kommt zum Beispiel noch die Psychotherapie dazu, die ich zahlen muss, das sind 80 im Monat, 28 krieg von der Kasse zurück. Ohne alle Fixkosten bleiben mir 300 Euro im Monat zum Durchkommen.

Mit wenig Geld durchkommen, das geht sich halt nimmer aus, wenn alles teurer wird, so wie jetzt.

Mit wenig Geld durchkommen, das geht sich halt nimmer aus, wenn alles teurer wird, so wie jetzt.

Bei den Nudeln zum Beispiel: Clever Nudeln haben ewig 78 Cent gekostet, und jetzt sind es 1 Euro 19. Das ärgert mich schon sehr: Es wird alles teurer, aber mein Geld wird nicht mehr.

Ich bin froh, dass ich überhaupt ein Geld krieg, aber ich ärgere mich über die Politik, wenn es heißt, ja, drei Prozent kriegt man mehr und letztendlich bleiben dann 28 Euro über bei der Mehr-Pension, aber gleichzeitig erhöht sich der Krankenkassenbeitrag und schon ist nix mehr da von dem Mehr.

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