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LESEZEIT: 04-06 min

erik

Ich wohn ja Sommer wie Winter im Zelt, seit zehn Jahren schon. Ich kann gar nicht mehr anders.

Ich wohn ja Sommer wie Winter im Zelt, seit zehn Jahren schon. Ich kann gar nicht mehr anders.

Du wachst in der Früh auf, weil du die Vögel zwitschern hörst. Du hörst den Fuchs scharren, das Reh rennt vorbei, es ist ein anderes Leben. Meine Freunde hier in Kärnten sagen: Erik, das ist kein Wohnen. Aber wenn du das zehn Jahre lang gemacht hast, dann ist das reine Sucht. Ich glaub, ich könnt gar nimmer mehr in einer Bude hocken.

 

Ich bin 53 Jahre alt und komm eigentlich aus Wien, aus St. Ottakring. Bis vor zehn Jahren hab ich in Wien bei der Müllabfuhr gearbeitet, bei der MA 48. Früher war das ganz okay. Du bist zum Beispiel am Rinterzelt vorbeigefahren, und hast die Lebensmittelsackerln rausgehängt beim Führerhaus, und da sind die Leute gekommen und haben sich das geholt. Oder vorm Anker, vor der Brotfabrik, da haben die Leut schon gewartet, und wir haben dann die Brote und die Mehlspeisen verteilt. Das ist ja alles weggeschmissen worden, was nicht mehr frisch war.

 

Aber dann haben wir einen Controller bekommen und der hat das alles abgedreht. Ab da ist alles in der Müllverbrennung gelandet oder im Rinterzelt. Und ich hab mir gedacht: Das ist jetzt nicht mehr das Wirkliche, das ist nicht mehr mein Ding.

 

Und so hab ich meinen Rucksack geschnappt und bin abgehauen. Das war am 1. Dezember 2012, bei strömenden Regen, ich kann mich noch gut erinnern. Ich wollt nur noch weg, ab nach Santiago de Compostela. Der Pilgerweg hat meinem Abhauen eine Richtung gegeben. Ich bin zu Fuß bis nach Spanien, und von Spanien hab ich ehrlich gesagt sieben Jahre lang nimmer heimgefunden. Weil wie ich am Rückweg nach Wien war, hab ich irgendeine falsche Abzweigung genommen und bin in Lübeck rausgekommen.

 

Und dann bin ich gleich weiter nach Skandinvien, dort hab ich als Hausarbeiter in einem Pflegeheim gearbeitet, dann rüber nach Finnland, dort hab ich bei Nokia gehakelt, und so weiter. Ich hab immer so drei, vier Monate gearbeitet und bin dann weitergezogen. Schweden, Finnland, Litauen, Dänemark, dann in Deutschland drei Mal rauf und runter.

 

Meistens hab ich als Waldarbeiter gearbeitet. Oder sonstwie mit Holz. Du kommst wo vorbei und siehst einen alten Bauern, der sich mit dem Holz umadumärgert und fragst: Kann ich helfen? Und dann packst halt an, und kriegst ein Essen oder 20 Euro.

 

Es war ein großes Abenteuer, aber nicht nur idyllisch. Da hast hin und wieder eine Scheißzeit gehabt, zum Beispiel wennst da so drei Tag im strömenden Regen umadumhirscht. Ich hab viele gemütliche Leut kennen gelernt, viele schöne Erinnerungen, aber ich hab auch blöde Begegnungen gehabt, zum Beispiel mit der Kieberei, die dich einfach vertreibt, einfach so, vonwegen: In meinem Revier hat so jemand wie Du nix verloren.

 

Gesundheitlich bist auch nicht abgesichert. Zum Glück ist mir nix Gröberes passiert. In Schweden hab ich einmal Erfrierungen an drei Fingern gehabt, der hier war violett, der war dunkelblau, und der schon leicht grün. Im Sommer sind dann die Fingerkuppen wie Fingerhüte runtergegangen. Wenn es kalt wird, spür ich es wieder, da fängt es total zu kribbeln an.

 

Ich hab später eine Zeitlang für den Deutschen Alpenverein gearbeitet, und da war ich etwas beliebt und ein Mal haben sie mir zu Weihnachten so einen riesigen Mount-Everest-Schlafsack geschenkt. Das ist wie ein Zelt im Zelt, da kannst sogar gemütlich lesen da drinnen. Der heizt wie Sau, da liegst bei Minus zehn Grad in der Unterwäsche drinnen.

 

Ich war total draußen aus dem System, war nirgendwo gemeldet, hab nicht einmal mehr einen Ausweis gehabt. In Bayern haben sie mich gar nicht nach einen Ausweis gefragt. In Schweden haben sie gedacht, meine Alpenvereinskarte ist der Personalausweis.

 

Ich war total draußen aus dem System, war nirgendwo gemeldet, hab nicht einmal mehr einen Ausweis gehabt. In Bayern haben sie mich gar nicht nach einen Ausweis gefragt. In Schweden haben sie gedacht, meine Alpenvereinskarte ist der Personalausweis.

Für die Grenze hab ich nix gebraucht, weil da hab ich immer die grüne genommen. Da gehst einfach drüber. Zumindest vor Corona war das leicht, jetzt gibt es mehr Patroullien.

 

Aber wie gesagt: Nachdem ich in Skandinavien war und in Deutschland auf- und abgewandert bin, bin ich nach Österreich zurück, das war vor vier Jahren. Und da komm ich eines Tages nach Friesach, ich war Richtung Süden unterwegs, weil schon Herbst war, und in Friesach hat mich die Polizei angehalten: Personenkontrolle. Und jetzt doch ein Problem: Ich hab keinen amtlichen Lichtbildausweis. Aber das waren zwei leiwande Kerle, die haben gefragt: Wo hast dein Zelt stehen, wir holen dich morgen um die und die Zeit ab, und bringen dich nach Klagenfurt runter. Und so war es dann auch. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich in einem Polizeiauto mitgefahren bin, und die haben mich genau hier vor der Tür aussteigen lassen, direkt vor der Caritas Obdachlosen-Tagesstätte.

 

Und ja, dann bin ich da hereingekommen, und da war eine Sozialarbeiterin da und die hat mir das gleich gecheckt, das mit der Melde-Adresse, das mit der Mindestsicherung, den Antrag für den Staatsbürgerschaftnachweis, ich hab wieder alle Dokumente bekommen. Und ja, irgendwie bin ich dann in Kärnten picken geblieben. Wegen die Leut.

 

Gegen die Gruft in Wien ist das hier ein Pfadfinderlager. Und ich muss sagen, hier in Klagenfurt, in drei vier Monaten hast eine Wohnung. Die schauen wirklich, dass niemand lange auf der Straße ist.

 

Aber die Wohnung verlieren ist anscheinend auch sehr einfach hier: Kaum sind drei untergebracht, sind schon wieder vier neue da. Ein Mal nicht den Zins zahlen, oder irgendeine andere Rechnung, den Exekutor da haben, schon bist wieder weg von der Bude.

 

Aber die Wohnung verlieren ist anscheinend auch sehr einfach hier: Kaum sind drei untergebracht, sind schon wieder vier neue da. Ein Mal nicht den Zins zahlen, oder irgendeine andere Rechnung, den Exekutor da haben, schon bist wieder weg von der Bude.

Ich hab auch unterwegs gern gezeichnet und so haben wir hier bei der Caritas so ein Beschäftigungsprojekt angefangen, die Spinde anzumalen, in denen die Obdachlosen ihre Sachen aufbewahren können. Am Anfang haben da fünf, sechs Leute mitgemacht, aber nachdem die Spraydosen leer waren, war die Begeisterung wieder verflogen.  Also hab ich allein weitergemalt und jetzt bin ich hier der akademische Plankenmaler.

 

Seit zwei Jahren hab ich mein Zelt bei einem Bauern stehen, am Rand von Klagenfurt. Dafür helf ich ihm da und dort. Und seit einem Jahr hab ich eine Freundin unten in Ebenthal. Und bei der Ebenthaler Feuerwehr bin ich zwangsrekrutiert worden, nicht für den aktiven Dienst, aber für andere Sachen, es ist immer was zu tun da in der Gegend.

 

Wenn es im Frühling schön wird, da kratzt es mich schon. Aber ich mach jetzt nur kurze Trips, ein Mal übern Glockner rüber oder so, und dann freu ich mich, dass ich wieder herkommen kann.

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