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LESEZEIT: 06-08 min

eva

Ich bin die Bewohnerin in der Siedlung, die sicherlich die meisten Gartenbegehungen und Hausbegehungen über sich ergehen lassen musste. Gartenbegehung, gut, soll sein, obwohl das ein Eckhaus ist und sie jederzeit alles auch von draußen sehen können. Aber gut, ist auch lustig anzuschauen, wenn eine Prokuristin mit Seidenkleidchen, Nerzmäntelchen und Stöckelschüchen im November in meinem Wildgarten herumstakst.

1997 bin ich zurück in diese Siedlung, in der ich aufgewachsen bin, ich kann mich genau erinnern, es war der 17. Februar, als ich zum ersten Mal wieder am Freihof übernachtet habe. In dieser Nacht war die Polizei im Haus, hat die Tür aufgebrochen und mir den Schlaf geraubt. Es sei laut gewesen. Dabei war ich vom Siedeln total erschöpft und hab geschlafen.

Es war also ein suboptimaler Start. Und dann fing es bald damit an: Der verwilderte Garten! Und sofort immer mit Klagsandrohung. Der Vorstand der Siedlungsgenossenschaft sprach mit mir nur via Räumungsklage.

Die Vorwürfe sind lächerlich bis absurd: Die Schilfmatten zum Beispiel. In der ganzen Siedlung gibt es Schilfmatten, aber bei mir sind sie nicht erlaubt. Die Rosen im Vorgarten sind zu hoch, für mich würde maximal ein Meter gelten. Und natürlich: Der Garten ist verwildert. Die Gemeinde Wien hat ihn zwar ausgezeichnet und mit dem Prädikat "Ökologische Oase" versehen, egal. Acht Verfahren vor Gericht hat es bereits gegeben. Zuletzt hat es geheißen, ich sei meiner Umgebung nicht zumutbar. Obwohl die Nachbar*innen unterschrieben haben, dass dem nicht so ist. Aber die Siedlungsunion will mich loswerden und macht weiter.

Die Wiener Siedlerbewegung war eine Bewegung von unten, die sich nach dem Ersten Weltkrieg mit viel Eigenarbeit kleine Reihenhauswohnungen mit großen Subsistenzgärten erkämpft hat.

 

Die Wiener Siedlerbewegung war eine Bewegung von unten, die sich nach dem Ersten Weltkrieg mit viel Eigenarbeit kleine Reihenhauswohnungen mit großen Subsistenzgärten erkämpft hat. Dass der Vorstand dieses demokratisch gedachten Konstrukts wie einer Genossenschaft zu einem Macht-Gremium mutiert, vor dem die Leute, eigentlich die Eigentümer*innen der Genossenschaft, Angst haben, das ist eine wirklich traurige Entwicklung.

Worum es diesen Leuten geht, lässt sich nur vermuten. Vielleicht das: Mein Haus könnte man auf die doppelte Fläche ausbauen, und es hat mit Abstand den größten Garten. Ich glaube, dass sie es einfach teuer verkaufen wollen, die Ablösen sind bekannt. Auch ich musste Ablöse für mein Kindheitshaus zahlen, als ich es von meiner Mutter übernommen habe.

Wie wir dort hingekommen sind? Folgendes wurde erzählt: Ich bin in der Stadtwohnung immer mit den Augen an der Wand entlang den Sonnenstrahlen gefolgt. Und die Eltern haben erkannt: Das Kind braucht einen Garten. Also sind wir 1956 zu viert, mit meiner Großmutter müttlerlicherseits, in diese 50 Quadratmeter große Substandard-Hütte gezogen.

Mein Vater war ein leidenschaftlicher Gärtner. Es war zwar gerade die Zeit, wo die Koniferen modern wurden, aber es war noch nicht die Zeit der Swimmingpools, und noch nicht die Zeit, wo jedes Kind einen eigenen Plastikspielplatz im Garten haben musste. Es gab damals noch Blumen in der Wiese, es wurde noch Gemüse angebaut, alle Siedlunghäuser hatten Kompostgruben, und der Gartenbeauftragte der Siedlungsunion gab den Leuten Ratschläge, wie die Obstbäume guten Ertrag bringen.

Wir haben alles gehabt: Marille, zwei Kirschbäume, Zwetschke, zwei verschiedene Birnen, Pfirsich, und einen Nussbaum. Es hat jedes Jahr mindestens 30, 35 Gläser mit Marillenkompott und mit der feinsten Marillenmarmelade gegeben. Diese frühen Häuser der Siedlerbewegung haben ja noch eine Speis, das plant heute keiner mehr. Wie kann man ohne Speis nachhaltig und sparsam leben?

1972 kam der Club-of-Rome-Bericht über die Grenzen des Wachstums und die Lage der Menschheit heraus, und ich hab das von Anfang an sehr ernst genommen.

1972 kam der Club-of-Rome-Bericht über die Grenzen des Wachstums und die Lage der Menschheit heraus, und ich hab das von Anfang an sehr ernst genommen. Ich hab auf der TU Architektur studiert mit einem Schwerpunkt auf Baubiologie, die damals gerade aufkam. Das hat mich extrem interessiert, das ressourcenschonende, der Natur nichts raubende Bauen. So bin ich auch auf die Permakultur gestoßen, die sich an den natürlichen Ökosystemen orientiert, nicht nur in der Landwirtschaft und im Gartenbau, sondern in allen Lebensbereichen.

 

Ich hab Öko-Projekte in den USA besucht, ich hab mir nachhaltige Lebensweisen in Indien, Indonesien und Südchina angeschaut, ich hab mit Bill Mollison, dem Vater der Permakultur, 1995 in Österreich die "Gesellschaft für Permakultur" gegründet. Ich hab auch eine Zeit lang für die Niederösterreichische Landesregierung als Beraterin für nachhaltige Stadtentwicklung gearbeitet, aber hauptsächlich war ich ehrenamtlich unterwegs, bin viele Tausende Stunden von Projekt zu Projekt gepilgert, hab Zeitschriften und Initiativen mitbegründet, hab den Permablühgemüsegarten hier am Naufahrtweg aufgebaut, hab mich bei Gartenprojekten in Schulen und Kindergärten engagiert, war eine Pionierin bei den Wiener Gemeinschaftsgärten, von denen es mittlerweile 176 gibt.

Nix verdient, aber einiges geschafft, könnte man sagen. Aber gemäß meinen geringen Bedürfnissen bin ich immer mit geringem Einkommen durchgekommen. Auch weil das Wohnen im Siedlerhäuschen vergleichsweise günstig ist. Substandard. Die Klagen vom Unionsvorstand sind also extrem belastend. Ich steh ja ständig vor dem Nichts.

Was mich konsterniert, ist die Unbelehrbarkeit der Konsumgesellschaft. Wir müssten mit einem Zehntel an Energieaufwand und Ressouren-Input unsere Leben meistern, aber uns wird eingeredet, wir brauchen einen Kühlschrank, der uns sagt, was wir einkaufen sollen.

Was mich konsterniert, ist die Unbelehrbarkeit der Konsumgesellschaft. Wir müssten mit einem Zehntel an Energieaufwand und Ressouren-Input unsere Leben meistern, aber uns wird eingeredet, wir brauchen einen Kühlschrank, der uns sagt, was wir einkaufen sollen.

Wir verbauen in Wien die letzten Ackerflächen und Gärtnereien, obwohl wir gerade verstehen, wie wichtig eine gewisse Ernährungssouveränität wäre. Vom Einfluss auf das Stadtklima ganz zu schweigen. Es entmutigt schon manchmal, dass wir seit 50 Jahren wissen, dass unsere Lebens- und Wirtschaftsweise die Erde zerstört und es noch immer kaum Bereitschaft für Veränderungen gibt.

Was mich nach wie vor glücklich macht, das ist die Natur. Das Schönste für mich ist, ich steh auf einem Berg und schau in die Ferne. Oder ich begehe als Planerin ein Gelände und sehe intuitiv, wie sich das entwickeln möchte, wie sich zum Beispiel eine kleine Selbstversorger-Landwirtschaft in eine Hanglage mit Wald und Bach einbetten ließe. Das ist schwer zu beschreiben. Das ist nicht nur Erfahrung, das ist auch ein Geschenk, für das ich dankbar bin.

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