LESEZEIT: 05-07 min
franz h
Ich habe ein Leben im Jetset geführt, mit First-Class-Flügen rund um die Welt, aber das Spielen hat dann im Laufe der Zeit Ausmaße angenommen, die mich bis in die Obdachlosigkeit geführt haben. Ich sag nur: Einmal Hölle und zurück.
Ich sag nur: Einmal Hölle und zurück.
Als ich noch der erfolgreiche Geschäftsmann und Fabriksbesitzer war, haben Fünf-Sterne-Köche für mein tägliches Brot gesorgt, und es war nicht wichtig, was das Essen kostet. Das ist heute anders. Heute arbeite ich als Peer-Mitarbeiter bei Obdach Forum in Wien und ich habe unter anderem eine Kochgruppe gegründet, weil ich glaube, dass Kochen für ehemals Obdachlose ein guter Weg ist, wieder soziale Kontakte zu knüpfen.
Wenn gekocht wird, bleibt keiner beim Tisch sitzen, sondern alle stehen rund um die Kochinsel und machen irgendwas, Zwiebel schneiden, Karotten schälen, und es entsteht eine Kommunikation unter Menschen, die sonst nicht ins Gespräch kommen würden. Wir kochen hier Speisen aus aller Herren Länder, ob persisch, serbisch, russisch, ukrainisch oder vietnamesisch. Natürlich kommt auch die österreichische Küche auf den Tisch. Sprachhürden überwinden wir mit Händen und Füßen, Handyübersetzer oder mit Hilfe meiner Sprachkenntnisse in Russisch, Englisch, Französisch, ja sogar ein wenig Chinesisch ist dabei. Die Sprachen lernte ich im Zuge meines vergangenen Lebens.
Ich habe in der Versicherungswirtschaft zu arbeiten begonnen, wo ich Ender der 1980er Jahre als einer der Ersten mit einem Laptop im Außendienst unterwegs war. Es war ein guter Job und auch das Einkommen war dementsprechend.
Und dann hatte ich das Pech, dass ich Casinos kennen gelernt hab.
Und dann hatte ich das Pech, dass ich Casinos kennen gelernt hab.
Wann genau dieser unbedingte Drang zum Spielen eingesetzt hat, kann ich heute nicht sagen. Das ich an einer Krankheit leide, an der Krankheit Spielsucht, das habe ich mir sehr lange nicht eingestanden. Letztendlich habe ich 35 Jahre lang gespielt. Und das heftig.
Von 1992 bis 2000 habe ich für eine Firma in Moskau gearbeitet. Der Zugang zum Spielen war dort sehr einfach, in jedem Hotel, jeder Diskothek gab es ein Casino. Heute ist das auch nicht mehr so.
Später gründete ich in China eine Firma, die sich mit Qualitätskontrolle beschäftigt, und zudem habe ich eine eigene Fabrik aufgebaut, mit über 100 Mitarbeitern, zur Produktion spezieller Taschen, Rucksäcke und Verpackungen für die Werbemittelbranche.
In China selber war das Spielen nicht möglich, aber es gibt die Sonderverwaltungsregion Macao, das Las Vegas des Ostens, dort ist das Glücksspiel legal und von Shenzen aus, wo ich gearbeitet habe, ist das nicht so weit weg.
In Macao verbrachte ich ganze Wochenenden. Des Öfteren bin ich einfach mit dem Hubschrauber nach dem Büro ins Casino geflogen, fünfzehn Minuten Trip, die ganze Nacht vor Automaten gesessen und mein Glück versucht, um dann am Morgen wieder ins Büro zu gehen, als ob nichts gewesen wäre. Nach Geschäftsreisen oft mal schnell einfach einen Tag angehängt und in Macao einen Zwischenstopp eingelegt, wusste ja niemand.
Als Spieler lebst du in zwei Welten und so ein Doppelleben führt zu einer großen Vereinsamung.
Als Spieler lebst du in zwei Welten und so ein Doppelleben führt zu einer großen Vereinsamung. Du trägst immer eine Maske und lässt niemanden so nahe an dich heran, dass er hinter diese Maske blicken kann. Das hat zu vielen Beziehungsabbrüchen geführt und zu vielen Verlusten von Freundschaften. Und das ist im Nachhinein betrachtet schlimmer als der Verlust von all dem Geld.
Irgendwann kommt der Punkt, wo du dich selbst nicht mehr im Spiegel anschauen kannst. Weil du weißt, dass du nicht dieser erfolgreiche Sunny Boy bist, den du allen vorspielst. Weil du weißt, dass du heute wieder jemanden belügen wirst, weil du Geld von ihm brauchst.
Irgendwann kannst du das nicht mehr aufrechterhalten. Und dann ziehst du dich zurück, denn es ist natürlich einfacher, nichts zu sagen, als die Wahrheit zu sagen. Und wenn du dich nicht outest, ist es natürlich leichter, dich selbst weiter zu belügen.
Ein Problem des Spielerdaseins ist, dass du auch beim Geschäftemachen zu hohe Risken eingehst. Du nimmst Geschäfte an, obwohl du weißt, das kann nicht funktionieren, nur um Vorauszahlungen zu kassieren, weil du ja Löcher stopfen musst auf deinem Bankkonto, damit du die Leute bezahlen kannst in der Fabrik, damit sich das alles ausgeht. Aber dann kommt der Tag, wo es sich nicht mehr ausgeht.
Du denkst immer wieder daran aufzuhören, aber der Drang ist stärker, was dann bei mir zu drei Suizidversuchen geführt hat. Den letzten gab es in Hongkong 2015. Am Dach eines Wolkenkratzers habe ich acht Stunden lang in die Tiefe gestarrt.
Am Dach eines Wolkenkratzers habe ich acht Stunden lang in die Tiefe gestarrt.
Meine Rettung war, dass ich schließlich nach Wien zurückgekommen und am Westbahnhof bestohlen worden bin. Das klingt absurd. Aber ohne Geld, ohne Papiere, ohne Freunde und ohne Unterkunft dazustehen, das hat mich letztlich dazu gebracht, über meinen Schatten zu springen.
Ich hatte keine Ahnung, was es heißt, obdachlos zu sein. Es war Ende März, aber die Kälte hat mir nicht so viel ausgemacht wie dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Ziellos irrte ich in der Stadt umher, sucht in den Nächten Schutz auf Toiletten, doch wirklich schlafen konnte ich nicht. Ein Auge und ein Ohr waren immer wach und achteten auf alles, was rund um mich passiert.
Wie nun wurde ich Peer? Eines Tages saß ich in einem Park, jemand sprach mich an und fragte um eine Zigarette. Wir kamen ins Gespräch und der Mann erzählte mir seine Geschichte, wie er krank wurde, den Job verlor und die Wohnung, etwas, was jedem passieren kann. Durch ihn angeregt, erzählte ich ihm auch meine Geschichte. Am Ende unseres Gespräches erklärte er mich noch, was ich tun muss und wohin ich mich wenden soll.
Nach dem Gespräch hat es noch vier Tage und vier Nächte gedauert, bis ich mich überwunden habe, zur Notschlafstelle P7 zu gehen.
Nach dem Gespräch hat es noch vier Tage und vier Nächte gedauert, bis ich mich überwunden habe, zur Notschlafstelle P7 zu gehen. Um Hilfe zu bitten ist eine Fähigkeit, die man erst erlernen muss. Heute bin ich sehr dankbar, dass mir in dieser schwierigen Zeit wer zur Seite gestanden ist, vor allem das großartige Team der Spielsuchthilfe. Dort konnte ich sofort anfangen, mit Therapie, Gruppentreffen, Freizeitbeschäftigung. Zu Beginn der Therapie hatte ich Entzugserscheinungen, als wäre ich von einer Substanz abhängig.
Es war auch die Sozialarbeiterin der Spielsuchthilfe, die mich eines Tages auf den Zertifikatskurs zum Peer der Wohnungslosenhilfe aufmerksam gemacht hat. Der Kurs war ein Erlebnis. Diese Offenheit im Umgang miteinander hatte ich in meinem Berufsleben nie erfahren. Damals war das noch ein Pilotprojekt.
Heute sind wir Peers ein fester Bestandteil in der Wohnungslosenhilfe.
Heute sind wir Peers ein fester Bestandteil in der Wohnungslosenhilfe.
Ich lebe mittlerweile in einer Einzimmerwohnung in einem Gemeindebau, male gerne, höre Musik, und mache hie und da den DJ, Tanzabende für Seniorinnen, ein bissl Boogie und Rock n'Roll.
Glücklich macht mich, dass ich wieder Kontakt zu einigen Menschen habe, die ich lange nicht gesehen habe. Ehrliche Kontakte, wo ich sagen kann, wenn es mir schlecht geht. In der Zeit als Spieler konnte ich das ja nicht. Und ich bin glücklich, wenn meine Klient:innen Fortschritte machen und es ihnen allmählich besser geht.
Die aktuelle Situation in der Gesellschaft macht mir Sorgen. Der rauere Ton im Umgang mit Menschen in prekären Lebenslagen. Die Erderhitzung. Die Kriege. Wir dürfen nicht aufhören, dagegen anzukämpfen. Wir haben nur diese eine Welt. Aber manchmal denke ich mir: „Gott sei Dank bin ich schon so alt!“