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harry
Ich bin nicht repräsentativ. Ich bin nicht wegen irgendeinem Trauma auf der Straße gelandet. Da ist nichts dergleichen. Kein Missbrauch, kein Unfall, keine schwulenfeindlichen Übergriffe. Mein Leben ist recht unspektakulär, langweilig.
Noch langweiliger aber wär mein Leben, wenn ich etwas arbeiten würde. Mir hat das nie Spaß gemacht. Es gibt keine Arbeit, die mir Spaß macht. Gibt es nicht. Und das ist auch der Grund, warum ich mein bürgerliches Leben schließlich aufgegeben hab. Das ist etwas mehr als zehn Jahre her. Ich vermisse es nicht.
Schon als Kind hat es mich genervt, wenn jemand gefragt hat: Was willst denn werden? Na, gar nix wollt ich werden.
Schon als Kind hat es mich genervt, wenn jemand gefragt hat: Was willst denn werden? Na, gar nix wollt ich werden. Nicht einmal Lokführer wollt ich werden. Ich wollt einfach nur Kind sein.
Ich versteh, dass es die meisten nicht aushalten würden, kein Geld und keine Wohnung zu haben, aber bei mir ist es eben anders: Ich halte lieber ein Leben ohne Wohnung aus, als eine Arbeit zu machen, die mich nicht freut.
Ich wäre nicht ausgestiegen, wenn ich eine Familie gehabt hätte. Oder wenn meine Mutter noch gelebt hätte. Aber so war es ganz einfach. Ohne familiäre Verpflichtungen kannst du ganz einfach sagen: So, jetzt scheiß ich auf alles.
Ohne familiäre Verpflichtungen kannst du ganz einfach sagen:
So, jetzt scheiß ich auf alles.
Ich war in den letzten zehn Jahren nicht durchgehend obdachlos, aber schon immer wieder. Zwischendurch war ich auch in betreuten Einrichtungen, aber das schaff ich nicht lange. Die Menschen dort haben oft Schreckliches erlebt und sind psychisch krank, ich halte das schwer aus. Und ich halte die Sozialarbeiter dort nicht aus. Sie gehen naturgemäß davon aus, dass sie dir helfen müssen, aber dafür bin ich der Falsche. Ich hab immer gleich das Gefühl, die bevormunden mich.
Im Winter brauchst du einen guten Schlafsack und eine gute Isomatte, das ist alles. Und einen sicheren Platz, an dem du deine Ruhe hast. Den hab ich. Und du darfst nicht total betrunken sein, weil sonst kann es schon passieren, dass du die Kälte nimmer spürst und ohne Schlafsack einschläfst und erfrierst.
Beim Essen ist Wien gut aufgestellt. Es gibt jeden Tag Orte, wo du gratis Essen bekommst. Meist Pfarrsäle. Das machen fast ausschließlich Frauen, weil wenn du wirklich was tun musst in der katholischen Kirche, dann dürfen es ausnahmsweise doch die Frauen machen.
Das machen fast ausschließlich Frauen, weil wenn du wirklich was tun musst in der katholischen Kirche, dann dürfen es ausnahmsweise doch die Frauen machen.
Eine Ausnahme ist der sogenannte Schnitzelpfarrer, der ist sehr beliebt, der kocht immer nur Schnitzeln und Schweinsbraten, ganz fett. Da gibt es Menschen, die stehen dann schon zwei Stunden vorher dort.
Ich trink gern. Ich mag dieses Gefühl des Betrunkenseins. Ich kann gar nicht nachvollziehen, dass das wer nicht mag. Wenn ich mit 16 Heroin genommen hätt, ich wär der totale Junkie geworden. Ich versteh, dass man da reinkippen kann. Ich glaub, irgendeine Sucht hat jeder, egal welche. Es gibt ja sogar Arbeitssucht, aber da bin ich zum Glück nicht gefährdet.
Im Sommer bin ich in Parks unterwegs. Eher in den bürgerlichen Bezirken, da geht dich keiner blöd an. Es ist so. Jedenfalls besser als auf der Donauinsel. Ich würd nie auf der Donauinsel schlafen, never ever. Dort sind mir zu viele Obdachlose, die sich gegenseitig bestehlen und herumstreiten. Ich brauch einen Platz, wo ich in Ruhe lesen kann. Das ist für mich ganz wichtig.
In den bürgerlichen Parks hab ich gute Erfahrungen gemacht. Bis auf diese eine Polizistin im 8. Bezirk, die mich aus dem Hammerlingpark vertrieben hat. Kampierverbot, was weiß ich, keine Ahnung. Aber die ist mir egal, ich leg mich mit der nicht an. Ich hab dann auch gleich einen besseren Park gefunden, der ist zugesperrt in der Nacht, musst nur über den Zaun klettern.
Im Wald kannst auch deine Ruhe haben, aber ich mag Wald überhaupt nicht, hab ich nie gemocht. Viele schwärmen von der Waldluft und so, aber ich muss sagen: Da stinkt es entsetzlich.
Ich bin einfach eine Asphalt-Tussi, es ist so. Ich brauch keine Natur.
Ich bin einfach eine Asphalt-Tussi, es ist so. Ich brauch keine Natur. Mir geht sie auch nicht ab. Ich bin am Attersee groß geworden, dort war nur Natur, ich hab das 18 Jahre lang gehabt, das genügt. Es war total langweilig. Und es stinkt einfach so.
Ich bin dort mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, ganz ohne Gewalt, also sogesehen hab ich ein großes Glück gehabt. Nach der Matura war ich mit zwei Freundinnen zwei Jahre lang in Paris. Wir haben alle drei als Aupairs angefangen, aber die Kinder sind mir total auf den Wecker gegangen. Nur eine von uns dreien hat den Job behalten und wir haben bei ihr als U-Boote gelebt. Das war eine schöne Zeit. Keine Verpflichtungen, ideal für mich.
Ich hab dann in Wien Französisch und Italienisch studiert. Von Paris nach Wien zu kommen war ein Horror. Das war 1989 und Wien war der reinste Ostblock. Alle Menschen haben gleich ausgeschaut. Es hat keine schwarzen Menschen gegeben. Für junge Menschen hat es überhaupt nichts gegeben. Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist es allmählich besser geworden.
Im zweiten Studienabschnitt ist meine Mutter gestorben und ich musste beginnen zu arbeiten. Ich hab als Stuart bei der Lufthansa gearbeitet. Der Job selbst ein Horror, bist halt Kellner im Flugzeug, Tea Coffee Coffee Tea, aber ich bin nur Langstrecke geflogen und war dann fünf Nächte in Sidney oder drei Nächte in New York, das war eh nett.
Der Job selbst ein Horror, bist halt Kellner im Flugzeug, Tea Coffee Coffee Tea, aber ich bin nur Langstrecke geflogen und war dann fünf Nächte in Sidney oder drei Nächte in New York, das war eh nett.
In Wien hab ich dann im U4 gearbeitet, ein Mal die Woche, bei der Heaven Gay Night. Ich war hinter der Bar und das war für mich okay, weil es war so laut, dass ich nichts mit den Gästen reden musste. Gern hab ich das auch nicht gemacht. Ich bin ein schlechter Kellner. Ich bin lieber Gast.
Mit der Schwulenszene hab ich nie viel anfangen können. Wenn Homosexuelle heute heiraten dürfen, ändert das ja nichts daran, dass die Ehe ein bürgerlicher Schwachsinn ist. Und Drag Queens find ich unerotisch. Aber bitte: Sollen alle tun, was sie wollen.
Es geht mir wie der Elfriede Jelinek: Die hat einmal gesagt, sie mag Männer überhaupt nicht, aber sie ist sexuell auf sie angewiesen. Ich mag Männer auch überhaupt nicht und bin sexuell auf sie angewiesen. Mir gehen die meisten Männer total auf den Wecker. Ganz abschaffen kann man sie wie gesagt nicht, aber die Welt wäre auf jeden Fall besser ohne sie.
Die längste Arbeit, die ich gemacht habe, war als Medienbeobachter beim Observer. Wir waren im Lektorat weitgehend selbstverwaltet. Du liest dort nach Stichworten und Themen. Als fixe Tageszeitung hab ich den Standard gehabt, das war okay, als Thema die Mode, auch super, weil da waren fast nur Bilder. Im Computer gab es 14.000 Stichwörter, rund 8.000 davon hast du im Kopf gehabt, es ist erstaunlich, aber das geht irgendwie automatisch.
Wenn ich hier in der Städtischen Hauptbücherei die Zeitung lese, hab ich zum Glück keine Stichwörter mehr im Kopf, das ist schon zu lange her. Ich bin oft hier, es ist ein guter Platz, niederschwellig, ich kann meine Sachen im Spind unterbringen, niemand macht mir Probleme.
Lesen war mir immer das Wichtigste im Leben. Klar, ich muss essen, ich muss trinken, aber ein Leben ohne Lesen wär für mich das Schlimmste. Wenn ich etwas Gutes lesen kann, macht mich das glücklich.