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kathrin

LESEZEIT: 11-13 min

Ich bin Kathrin – Tourismuskauffrau, studierte Betriebswirtin, Fachtrainerin, Yogalehrerin, Fitness- & Personaltrainerin, Genesungsbegleiterin und Lebens- und Sozialberaterin in Ausbildung. Das klingt nach einem beeindruckenden Lebenslauf – und das ist es auch, ich bin nämlich in meiner Jungend schon psychisch erkrankt. Ich lebte viele Jahre am Existenzminimum, war mehrmals dem Tode nahe und es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass es mir heute so gut geht. Manchmal komme ich mir sehr viel älter vor als 35. Ich wusste so oft nicht mehr weiter, wollte nicht mehr leben – doch wirklich aufgegeben habe ich nie!

Meine Erkrankung sehe ich heute als Hilfeschrei meiner Seele. Ich dachte immer, ich muss alles allein schaffen, stark sein.

 

Das ist meine Erkenntnis: Wirklich stark ist nicht die Person, die immer perfekt ist, sondern die, die auch Verletzlichkeit zulässt und um Hilfe bittet und diese auch annehmen kann.

 

Das ist meine Erkenntnis: Wirklich stark ist nicht die Person, die immer perfekt ist, sondern die, die auch Verletzlichkeit zulässt und um Hilfe bittet und diese auch annehmen kann.

 

Und die dann wiederum für andere da ist - ein gutes Leben haben wir nur, wenn wir wertschätzend miteinander umgehen. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der es oft nur ums „Mehr“ geht – mehr Geld, mehr Leistung, mehr Ruhm. Ich will auch gerne meinen Beitrag leisten, aber nicht auf Kosten anderer oder um besser zu sein als andere. Wir hätten alle Voraussetzungen wie Wissen, Technologien etc., um ein lebenswertes, ressourcenschonendes und entspanntes Leben führen zu können, nur leider tun wir das nicht.

Ich bin geboren und aufgewachsen im Pinzgau. Von außen betrachtet fehlte es mir an nichts, ich lebte zusammen mit meinen Eltern und meinem Bruder, nebenan die Großeltern. Dennoch habe ich mich als Kind dort fehl am Platz gefühlt. Ich war sehr gut in der Schule, das wurde als selbstverständlich hingenommen, mein Bruder brauchte Unterstützung und bekam deshalb auch mehr Aufmerksamkeit. Am meisten eingeprägt haben sich in meiner Kindheit die Worte meines Opas: Dass ich nur ja nicht dick werden darf! Aufessen musste ich aber trotzdem immer alles, was auf den Teller kam. Ich habe in jungen Jahren bereits meinen geliebten Patenonkel verloren, der bei einer Bergrettungsübung tödlich verunglückt ist – das hat mir das Herz gebrochen. Danach habe ich versucht, meine Gefühle möglichst zu verdrängen und mich über Leistung zu definieren.

Mit 14 bin ich freiwillig ins Internat gegangen, in eine Tourismusschule – ich wollte immer etwas lernen und studieren – anders als der Rest meiner Familie, größtenteils Handwerker. Ich hatte in der Schule nie Probleme, allerdings fiel es mir schwer, dort Anschluss zu finden. So bin ich in meiner Jugend in eine Essstörung gerutscht, weil ich dachte, dass es mir besser gehen würde, wenn ich dünner bin. Sehr schnell wurde mir aber klar, dass ich mit „essen/nicht essen/kotzen“ aber auch meine Emotionen regulieren konnte. Nach der Matura kam ich nach Wien – ursprünglich wegen eines Jobs, aus dem dann nichts wurde, und so bin ich auf der WU gelandet. Ich wollte ja immer studieren, aber Internationale Betriebswirtschaft habe ich dann nur begonnen, weil Freunde von mir auch auf der WU waren.

Viel lieber wollte ich Philosophie oder Psychologie studieren – aber das hätte ich meiner Familie nicht verständlich machen können.

Viel lieber wollte ich Philosophie oder Psychologie studieren – aber das hätte ich meiner Familie nicht verständlich machen können.

In Wien ging es mir immer schlechter. Ich musste sehr sparsam leben, irgendwie mit Nebenjobs meistens nachts oder am Wochenende, im Gastro- und Eventbereich meinen Lebensunterhalt verdienen. Untertags habe ich studiert. Zum Essen und Auf-mich-Schauen war da keine Zeit. Und wenn schon Essen, dann habe ich mir sehr viele, sehr billige Lebensmittel gekauft und Ess-Brech-Anfälle gehabt. Zu Beginn des Studiums war ich sehr gut und schnell, aber die Mehrfachbelastung war zu viel für mich. Innerhalb kürzester Zeit bin ich abgemagert, war nur noch Haut und Knochen. Gewohnt habe ich nach einer traumatischen Erfahrung in einer WG dann in einer Substandard-Wohnung ohne Heizung und mit WC am Gang.

Schon bald war klar, dass ich es so nicht schaffe, und auf Drängen meiner Familie ging ich in Therapie. Lange habe ich - sehr erfolgreich - meine Essstörung verschwiegen, und mir eingeredet, dass ich das schon alles irgendwie schaffe. Zahlreiche Therapieversuche sind dann gescheitert. Ich wurde als „therapieresistent“ bezeichnet und musste mich stationär behandeln lassen, weil das Untergewicht gesundheitsgefährdend wurde. In dieser Zeit habe ich begonnen, meine Zuflucht im Alkohol zu suchen. Die Zeiten, in denen ich betrunken war, haben mir Pausen von meinen belastenden Gedanken beschert, aber mein Gesundheitszustand wurde immer schlechter. An diese Zeit habe ich streckenweise nur verschwommene Erinnerungen – ich war immer wieder für Tage, Woche, manchmal sogar Monate in Therapie oder auf der Akutpsychiatrie. Wenn es mir zwischendurch wieder etwas besser ging, habe ich immer wieder mit meinem Studium weiter gemacht. Dann habe ich wieder zu trinken begonnen, und alles ging von vorne los. Meine Familie hat mich oft gedrängt, das Studium sein zu lassen und wieder in den Pinzgau zurückzukehren, aber das wollte ich nicht. Die Vorwürfe und Ratschläge meiner Familie haben mir sehr zugesetzt – aber doch war das Wissen, dass ich den Menschen dort noch wichtig bin und dass ich nach Hause kommen kann. Das hat mich am Leben erhalten.

Im Endeffekt habe ich zehn Jahre für den Abschluss meines Bachelor-Studiums gebraucht – auch wenn mir immer klarer wurde, dass ich in diesem Bereich nicht arbeiten will. Für mich ist das alles heute ein Wunder, dass ich diese vielen Jahre des Lebens am Limit überlebt habe. Gegen Ende meines Studiums hatte ich nämlich noch zwei Gehirnblutungen inklusive Notoperationen innerhalb von nicht einmal zwei Jahren. Ich war zu dieser Zeit suizidal, hatte auch schon Selbstmordversuche hinter mir. Es wäre für mich eine Erleichterung gewesen zu sterben. Aber ich erinnere mich daran, dass ich mit einem Auftrag zurückgeschickt wurde und aus dem Koma erwachte und wusste, dass ich noch etwas zu erledigen habe hier auf dieser Erde.

 

Und das ist auch der Grund, warum ich jetzt meine Erfahrungen so offen teile. Ich hoffe, dass Menschen aus meiner Geschichte Kraft und Hoffnung schöpfen können, ebenso wie ich es heute tue.

Und das ist auch der Grund, warum ich jetzt meine Erfahrungen so offen teile. Ich hoffe, dass Menschen aus meiner Geschichte Kraft und Hoffnung schöpfen können, ebenso wie ich es heute tue.

 

Ich habe nach der zweiten Gehirnblutung wieder gehen gelernt, das Leben wieder neu in Angriff genommen – und doch habe ich noch immer getrunken, wenn es mir schlecht ging, wenn mir alles zu viel war. Außerdem konnte ich nicht mehr arbeiten, hatte kein Geld, und Alkohol zu trinken war billiger als etwas zu essen. Nach der allerletzten Prüfung an der Uni, die ich geschafft habe, hätte ich mich gerne gefreut. Aber ich habe meine Gefühle generell nicht mehr ausgehalten und wieder zu viel getrunken. Dann kam ich in die Psychiatrie und es ist richtig eskaliert, und so wurde ich vier-Punkt-fixiert. Als ich zu mir gekommen bin, dachte ich: „Scheiße, Kathrin, wenn du so weiter machst, hast du umsonst gekämpft, du hast umsonst dein Studium abgeschlossen, umsonst zwei Gehirnblutungen überlebt.“ Mir kam das Bild meines eigenen Begräbnisses in den Sinn – wie wenige Menschen kommen würde, und wie traurig sie wären, dass ich mich mit meiner Sucht selbst zerstört und mein Potential nicht gelebt habe. Das hat mir die Augen geöffnet und ich habe beschlossen, keinen Alkohol mehr zu trinken.

Ich hatte viele Entzüge und sie waren hart. Aber noch viel härter war es, dauerhaft abstinent zu bleiben. Und so habe ich mich auf die Suche begeben. Wie kann ich es schaffen, dass es mir wieder besser geht? Da bin ich zum Yoga gekommen, und das hat wirklich mein Leben verändert. Ich lernte, meinen Körper, meine Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen und anzunehmen. Auch die Bewegung hat mir gutgetan. Und so habe ich verschiedenste Ausbildungen im Sportbereich gemacht - immer mit dem Ziel, meinen Körper und Geist wieder in Einklang zu bringen. Und das hat auch funktioniert – und so ist immer stärker der Wunsch entstanden, diese Erkenntnisse auch zu teilen. Deswegen habe ich dann die Ex-In-Genesungsbegleiter-Ausbildung gemacht, um als Peer-Beraterin arbeiten zu können.

Die Peer-Beratung ist aber leider in Österreich noch nicht wirklich anerkannt, und ich kann dort fast nur ehrenamtlich arbeiten. Das habe ich in den letzten Jahren auch gemacht, weil ich Rehageld bekommen habe. Es war ein langer Kampf, und viele Begutachtungen und Untersuchungen waren nötig, bis es mir bewilligt wurde. Ich musste all die schlimmen Geschehnisse aus meiner Vergangenheit immer wieder erzählen. Das ist das Problem bei psychischen Erkrankungen, da hört man immer, stell dich nicht so an, reiß dich zusammen. Oder es heißt, du bist doch nicht krank, du schaust aus wie das blühende Leben! Keiner hat es mir geglaubt, dass es mir schlecht geht. Ich war dann fast schon froh über die Gehirnblutungen, durch die endlich sichtbar war, dass etwas nicht passt.

 

Es hat aber sehr an meinem Selbstwert genagt, als ich es dann schwarz auf weiß hatte: „voraussichtlich dauerhaft nicht selbst erhaltungsfähig“.

Es hat aber sehr an meinem Selbstwert genagt, als ich es dann schwarz auf weiß hatte: „voraussichtlich dauerhaft nicht selbst erhaltungsfähig“.

Ich habe aber trotzdem nie aufgegeben und ich verfolge weiter meine Mission: zurück ins Arbeitsleben, meine Erfahrungen teilen und damit auch andere Menschen empowern! Vergangenes Jahr wurde mir dann unvermutet das Reha-Geld entzogen. Auf einmal sollte ich wieder voll arbeiten gehen, und nun beziehe ich Mindestsicherung. Hier kann ich mir leider nichts dazu verdienen und auch nicht geringfügig oder Teilzeit ins Erwerbsleben zurückkehren, und mich auch nicht selbständig machen – das ist nämlich mein Ziel. Ich wünsche mir jetzt einen Teilzeitjob, von dem ich leben kann, und nebenbei möchte ich meine Selbständigkeit aufbauen. Es ist nämlich sehr viel, was ich zu geben habe. Ich habe noch viel vor!

Es wäre schön, wenn psychische Erkrankungen endlich als das anerkannt werden, was sie sind: eine Krankheit, die jede:n treffen kann, und nicht das Versagen oder die Dummheit eines Menschen. Ich teile meine Geschichte und meine Erfahrungen, um anderen Mut zu machen und Hoffnung zu geben und um zum Abbau der Stigmatisierung von psychisch Erkrankten beizutragen. Ich will und werde es schaffen, wieder selbstbestimmt leben zu können – und das wünsche ich allen Menschen.

Seit eineinhalb Jahren wohne ich in Kaisermühlen in einer eigenen kleinen Wohnung. Ich bin so gesund wie schon lange nicht mehr. Hier an der Donau kann ich durchatmen und aufatmen. Ich liebe Wien, weil die Stadt so viel Lebensqualität bietet, die Donauinsel, das Grün mitten in der Stadt, hier kann ich ins Wasser hüpfen. Auch im Winter geh ich schwimmen. Es ist nur in den ersten Sekunden kalt, dann kribbelt der ganze Körper. Danach fühle ich mich lebendig und entspannt. Ich bin jede freie Minute hier an der Donau und es kommt mir dann vor wie im Urlaub.

Ich bin unglaublich froh über meine Roßnatur, dadurch habe ich vieles lange gut kompensieren können. Was ich alles niedergebrannt habe und ich bin trotzdem wieder auferstanden. Wie ein Phönix aus der Asche.

Ich bin unglaublich froh über meine Roßnatur, dadurch habe ich vieles lange gut kompensieren können. Was ich alles niedergebrannt habe und ich bin trotzdem wieder auferstanden. Wie ein Phönix aus der Asche.

Wenn ich mal tot bin, möchte ich, dass Menschen mit einem Lächeln an mich denken. Doch noch ist es nicht so weit, da geht noch was. Es muss einen Grund geben, dass ich noch lebe. Es hätte schon tausend Möglichkeiten gegeben, dass ich abgedankt hätte. Doch irgendwas in mir ist stärker und will leben.

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