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manfred s

LESEZEIT: 06-08 min

Jetzt bin ich offiziell gemeldet und versichert. Ich werde 68 und habe eine kleine Pension. Zuerst habe ich eine befristete Invaliditätspension bekommen. Bei den jährlichen Begutachtungen habe ich immer gesagt, dass ich wieder arbeiten will. Aber ich habe jedes Mal den Bescheid bekommen, dass ich arbeitsunfähig bin.

 

So bin ich in die Alterspension gekommen, obwohl ich das gar nicht wollte. Viele wollen es, aber ich wollte es nicht.

So bin ich in die Alterspension gekommen, obwohl ich das gar nicht wollte. Viele wollen es, aber ich wollte es nicht.

Ich bin aus Salzburg und war KFZ-Mechaniker. Ich habe meine Frau kennengelernt, wir haben ein Haus in Obertrum gebaut. Mein Sohn war schon auf der Welt, da bin ich nach Saudi-Arabien zum Arbeiten. Geplant war ein halbes Jahr, damit ich Geld verdiene für unser Haus. Ich war im Straßenbau zuständig für LKW und Baumaschinen. Als ich zurückgekommen bin, holt mich meine Frau am Bahnhof ab und fängt zum Weinen an. Sie sagte, sie hat einen neuen Mann. Damit hat mein Dilemma angefangen.

 

Ich habe begonnen Stimmen zu hören, 24 Stunden hindurch. Meine Frau war mit unserem Sohn schon bei ihrem neuen Freund und ich war allein im Haus. Ich habe 300.000 Schilling Schulden bei der Bank gehabt und habe meinen Bruder per Handschlag ins Grundbuch eintragen lassen, damit er einen billigen Kredit für den Ausbau im ersten Stock bekommt. Alle haben gesagt, tu das nicht! Ausgemacht war, wenn er die Wohnung nicht mehr braucht, gebe ich ihm das Geld für das Baumaterial. Er hat dann aber den Realwert von 800.000 Schilling von diesem Teil des Hauses verlangt. So viel Geld habe ich nicht gehabt. Mir ging es schlecht: Ich habe Stimmen gehört, ich hatte die Scheidung, Vater ist an Krebs gestorben, der Streit mit meinem Bruder, ich habe dann auf das Haus verzichtet.

 

In der Werkstatt, wo ich als Mechaniker gearbeitet habe, konnte ich schlafen. Der Chef hat aber nicht eingeheizt und ich wurde krank. Schließlich bin ich in der Obdachlosenstelle in Salzburg gelandet. Oft habe ich bei den Bauern mitgearbeitet und im Heu geschlafen oder im Stall bei den Pferden. Ich habe dort und da gearbeitet.

 

Einmal habe ich alkoholisiert in Mattighofen die Kühlerhaube von einem Auto bearbeitet, da ist die Polizei gekommen und ich bin ins Spital in Linz gekommen. Dort konnte ich mit einer Ärztin endlich über das Stimmenhören reden.

 

Ich dachte immer, ich kann nicht darüber reden, weil die Stimmen mir sagten, wenn ich was sage, dann bin ich tot. Ich habe zur Ärztin gesagt, ich sag Ihnen jetzt was, aber Sie dürfen sich nicht wundern, wenn ich dann tot bin. Dann ist aber nichts passiert.

 

Ich dachte immer, ich kann nicht darüber reden, weil die Stimmen mir sagten, wenn ich was sage, dann bin ich tot. Ich habe zur Ärztin gesagt, ich sag Ihnen jetzt was, aber Sie dürfen sich nicht wundern, wenn ich dann tot bin. Dann ist aber nichts passiert.

Die Ärztin hat mir erklärt, dass ich nicht der Einzige bin, der davon betroffen ist. Da war ich so froh, das war eine totale Erlösung für mich.

 

Die letzten drei Monate im Spital war ich auf Umschulung im BBRZ. Meine Knie waren kaputt und ich konnte nicht mehr als Mechaniker arbeiten. Die Ausbildung habe ich aber abbrechen müssen, weil meine Stimmen so schlimm wurden. Ich höre sie jetzt auch noch, aber nicht mehr so arg. Man gewöhnt sich daran.

 

Vom Spital aus bin ich in ein Übergangswohnheim von Exit Sozial gekommen, später in eine kleine betreute Wohnung. Das habe ich durchgehalten und alle Vorgaben eingehalten, seitdem habe ich eine Genossenschaftswohnung. Damit bin ich voll zufrieden.

 

Mein Bruder hat mein Haus verkauft. Er hat sich auch das Elternhaus unter den Nagel gerissen und hat es auch verkauft. Er hat aber getrunken und ist bei den Obdachlosen in Salzburg gestorben. Das ganze Geld war weg. Dass er gestorben ist, war eine Erlösung für mich. Ich habe immer wieder gedacht, ich bring ihn um, aber er war ja mein Bruder. Mein Sohn ist jetzt auch verheiratet und hat ein Haus in Obertrum gebaut. Er hat sich das Theaterstück, wo ich mitgespielt habe, angeschaut. Jetzt bin ich schon zweifacher Opa. 

 

Seit der Gründung der Straßenzeitung Kupfermuckn bin ich dabei, also seit 20 Jahren. Ich schreibe Artikel und verkaufe die Zeitung. Ich dichte auch. Ich war einsam in Linz und dachte, wenn ich nichts tue, werde ich verrückt. Bei pro mente konnte ich mit dem Theaterspielen anfangen. Ich habe auch schon im Phönixtheater gespielt, wir waren beim Pflasterspektakel dabei. Mir hat sehr geholfen, dass ich über meine Stimmeindrücke geschrieben habe und dass daraus ein Theaterstück entstanden ist. Das Outen über meinen Zustand, das tut mir gut, weil ich dann nicht mehr so in mich zurückgezogen lebe. Ich habe meine Vorstellungen von Berufsleben fallengelassen, und es ist nun so wie es ist. Ich sehe auch, dass es nicht nur mir so geht. Ich bin nicht der Einzige, das hilft.

 

So bin ich nach und nach wieder domestiziert worden, denn ich war in der Wildnis. Und ich wurde wieder in die Gemeinschaft integriert. Die Einsamkeit, das war für mich das Ärgste.

 

Der Würstelstand hier war und ist immer eine Station für mich. Hier wird so viel miteinander geredet, es sind viele psychisch Betroffene oder Obdachlose da. Jeder kann kommen und jeder kennt jeden.

 

Der Würstelstand hier war und ist immer eine Station für mich. Hier wird so viel miteinander geredet, es sind viele psychisch Betroffene oder Obdachlose da. Jeder kann kommen und jeder kennt jeden.

Ich habe auch eine Freundin, sie ist aus Kroatien geflüchtet und hört auch Stimmen. Ich schau auf sie und helfe ihr. Sie war auch jahrelang obdachlos, nun hat sie eine kleine Wohnung. Jetzt kann nichts mehr passieren.

 

Ich fühle mich nicht arm, ich habe genug. Seit fünf Jahren habe ich ein Gartenbeet im Gemeinschaftsgarten. Das ist ein soziales Projekt für Einheimische und Migranten, ich muss nichts zahlen. Ich bau Gemüse an, alle möglichen Sorten und alles ist Bio. Tomaten, Kren, Rhabarber, Spinat, Schnittlauch, Radicchio. Wenn es zu viel ist, bring ich es zum Markt. Ich koche selbst und ernähre mich möglichst gesund. Ich habe viel getrunken im Leben, wenn ich auf mich schaue und mich richtig verhalte, geht es mir gut. Ich muss ein bisserl am Würstelstand aufpassen.

 

Das Garteln, meine Freundin, das Theaterspielen, die Kupfermuckn, die Wohnung, damit habe ich genug zu tun. Solange ich das alles schaffe, bin ich zufrieden. Ich möchte nur, dass es meiner Freundin besser geht, sie ist 71 und sie ist öfters verwirrt. Das ist schon eine Belastung. Aber sonst bin ich zufrieden. Ich weiß genau, ich darf nicht lockerlassen. Das gelingt, weil ich was Sinnvolles zu tun habe. Das ist für mich wichtig.

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