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LESEZEIT: 13-15 min

Ein Mädchen hat einmal gefragt: Sag einmal, schämst du dich eigentlich, dass du noch lebst und so viele von deinen Freunden tot sind? Da hab ich schon kurz geschluckt. Es ist keine blöde Frage, aber etwas unsensibel gestellt.

Bei den Wiener-Nimmerland-Führungen, bei denen ich von meinem Leben auf der Straße erzähle, stoße ich auch auf erschreckende Ansichten wie: Obdachlose sind nur ein Schaden für die Gesellschaft und gehören aus der Welt geschafft, quasi euthanasiert. Das sind ganz normale, liebe Kids, die mit so einer unglaublich traurigen Einstellung daherkommen. 

 

Ich sehe da leider einen großen Trend in Richtung Empathielosigkeit, ein Abdriften in eine menschenverachtende, rechte Weltsicht, die auf Social Media massenhaft verbreitet wird.

So gesehen ist es gut, dass vor allem Schulklassen unsere Tour buchen. Ich hab schon den Eindruck, dass viele Kids nach der Führung offener sind für eine andere Sichtweise. Dass es eine andere Qualität hat, jemanden real kennen zu lernen und seine Lebensgeschichte zu hören. Das Feedback ist jedenfalls sehr positiv.

Ich nehme mir jetzt nicht heraus zu sagen, dass ich eine präventive Wirkung habe. Das kann man nicht wissen. Aber ich denke, wenn ich erreiche, dass jemand lieber ein zweites Mal nachdenkt, bevor er sich auf eine stärkere Droge einlässt, dann ist das schon etwas.

Wie ich als Jugendlicher nach Wien gekommen bin, war ich schon informiert, von Lehrern, von den Eltern, aber schwer missinformiert. Uns wurde als Kinder eingeredet, egal welche Drogen, ihr nehmt die vier, fünf Mal, und schon seid ihr süchtig. Was natürlich bei den meisten Drogen ein Blödsinn ist. Es wurde einem viel Angst gemacht. Und wenn du dann merkst, dass das so nicht stimmt, dann glaubst du gar nichts mehr. Das war sicher einer der Gründe, warum ich so idiotisch damit umgegangen bin.

 

Meine Eltern waren sehr unglücklich verheiratet. Meine Mama war eine liebevolle Frau, aber nervlich nicht gut beieinander und sie hat das oft an uns ausgelassen. Mein Vater war selten da, er hat nicht oft zugeschlagen, aber wenn: Bist du deppert! Da haben wir gleich Ölwickel drauftun müssen, damit es keine Spuren gibt.

Ob man seine Eltern als Eltern sieht oder als Menschen, ist ein großer Unterschied. Eltern müssen perfekt sein, Menschen können ruhig Mist bauen. 

 

Als Kind war ich streng, heute denke ich mir: Meine Mama war viel zu jung, als sie Kinder bekommen hat. Jedenfalls weiß ich heute: Meine Eltern haben es in vielerlei Hinsicht nicht leicht gehabt. Sie haben ein paar dumme Entscheidungen getroffen, aber das hab ich auch gemacht.

Mit dreizehn Jahren hab ich angefangen, Mist zu bauen. Da hab ich schon regelmäßig getrunken. Ich hab die Schule verbockt, bin mit sechszehn in ein Heim gekommen, nach einem halben Jahr von dort abgeposcht und in Spanien untergetaucht.

Mit achtzehn bin ich zurückgekommen und in Wien gelandet. Ich hab mich auf der Mariahilferstraße zu den Punks gesetzt und bin von ihnen gleich adoptiert worden. Für die war ich "der Kleine". Die Mahü und die Neubaugasse waren unser Revier, der McDonalds war unser Waschraum, Burger hätten wir dort nie gekauft. Ich war auch bei einigen Hausbesetzungen dabei, das waren damals Scheinbesetzungen, um auf Leerstand aufmerksam zu machen und Druck zu machen im Kampf für eine "Pankahyttn". Obwohl damals schon klar war, dass ich ein ernstes Alkoholproblem habe, war das vergleichsweise eine gute Zeit. Mit der Heroinsucht war es dann weniger entspannt.

 

Punks haben mit Heroin nichts am Hut. Also hat sich mein Umfeld verändert. Aber die meiste Zeit war ich jetzt ohnedies damit beschäftigt, die Entzugerscheinungen zu verhindern. Für das lebst du dann. 

Nichts mit der großen Freiheit: Du musst jeden Tag rund 60 Euro zamschnorren.

 

Nichts mit der großen Freiheit: Du musst jeden Tag rund 60 Euro zamschnorren. Dann besorgst du dir dein Zeug. Du lebst für vier Stunden am Tag. Und da geht es nicht ums Partymachen oder so, sondern nur darum, die Entzugserscheinungen zu verhindern.

In den sechs Jahren die ich auf der Straße war, hab ich viel Schlimmes erlebt. Du bist oft mit Gewalt konfrontiert, und mit sexuellen Übergriffen, Mädchen mehr, Burschen gar nicht so viel weniger.

Am Karlsplatz, wo meine Tour beginnt, war keine Heroinszene. Der Karlsplatz war ein reiner Pharmaplatz. So wie danach der Praterstern, oder heute der Gürtel bei der Josefstädterstraße und der Gumpendorferstraße. 

Was du dort kaufen kannst, ist zu hundert Prozent aus Apotheken.

Was du dort kaufen kannst, ist zu hundert Prozent aus Apotheken. Wenn du etwas anderes angeboten kriegst, dann kaufst es nicht, weil es ist ziemlich sicher beschissen. Du kaufst dort die sogenannte Ersatzdrogen, zum Beispiel Substitol, oder Pharmazeutika, die ungemein süchtig machen.

Ich bin heute seit 17 Jahren im Substitol-Programm. Ob es klug ist, den Entzug mit Morphium zu machen, ist eine eigene Geschichte. Es gibt nur eine Handvoll Länder, die das noch machen. Wir sind eines davon.

Ich nehme mittlerweile verschwindend wenig. Aber das ändert nichts daran, dass ich ohne dem gar nicht funktionieren tät. Wenn ich in der Früh aufsteh, muss ich mich erst auf euer Niveau raufdosieren. Ich steh auf, mir geht es total dreckig, dann muss ich mein Gift nehmen, und dann geht es mir so, wie dir jetzt, halbwegs normal.

 

Dann hab ich auf der Straße die Nadine kennen gelernt, mit der ich heute noch zusammen bin. Beim Wiener Nimmerland macht sie das Backoffice und die Organisation.

Damals haben wir ein Jahr lang gemeinsam Gas gegeben. Aber sie ist einen Zinken jünger als ich, und zu sehen, wie sie den gleichen dummen Weg geht wie ich, war irgendwann nicht mehr cool. Dann gab es ein paar unglückliche Ereignisse zur richtigen Zeit: Freunde sind gestorben, ein paar grausliche Dinge sind passiert. Das hat uns den letzten Arschtritt gegeben, um von der Straße wegzukommen. Wobei uns Nadines Eltern sehr geholfen haben.

Wie wir zur Pizzaria Anarchia dazugestoßen sind, waren wir schon wieder stabil. Dort waren alte Freunde aus der Punk-Szene, und sie haben gesagt, sie brauchen einen Vereinsobmann, und dann war halt ich der, der dafür seinen Namen hergegeben hat.

Bei der Pizzaria dabei zu sein, war vielleicht das Sinnvollste, das ich in meinem Leben gemacht habe. Die Geschichte ist jetzt zehn Jahre her, aber sie war in vielerlei Hinsicht exemplarisch.

Bei der Pizzaria dabei zu sein, war vielleicht das Sinnvollste, das ich in meinem Leben gemacht habe. Die Geschichte ist jetzt zehn Jahre her, aber sie war in vielerlei Hinsicht exemplarisch. Nicht nur, was den völlig überzogenen Einsatz der Polizei bei der Räumung betrifft, der fast karikaturhaft gezeigt hat, mit welchen Mitteln bei uns das Kapital geschützt wird: 1.700 Polizisten und ein Panzerwagen gegen 19 Pizza-Punks. Dazu gibt es übrigens ein Computerspiel: "1700.at - The Game".

Die Geschichte war auch bezeichnend für die Immobilien-Spekulation in Wien: Immobilien-Besitzer laden Punks ein, ein halbes Jahr in einem Haus zu wohnen, um so die letzte Mieterin zu vertreiben, damit sie dann das Haus sanieren und teuer verkaufen können. Etliche Leute haben uns  damals um Rat gefragt, weil sie ein ähnliches Problem hatten mit irgendeinem neuen Hausbesitzer, der alles mögliche versucht hat, um sie rauszuekeln.

Und die Geschichte ist einfach schön: Die Punks solidarisieren sich mit der Alt-Mieterin, sie bleiben im Haus und betreiben zwei Jahre lang ein Kultur- und Nachbarschaftszentrum mit einer Pay-as-you-wish-Pizzaküche. Die Leute aus der Umgebung haben applaudiert, wenn wir von unseren Demos gegen Mieten und für Leerstand-Nutzung zurückgekommen sind.

Die Leute aus der Umgebung haben applaudiert, wenn wir von unseren Demos gegen Mieten und für Leerstand-Nutzung zurückgekommen sind.

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