top of page
schriftzug.png

michael f

LESEZEIT: 08-10 min

Es ist zwar immer vom Lebenslauf die Rede, aber streckenweise ist so ein Leben auch ein Stolpern und Hinfallen. 

 

Es ist zwar immer vom Lebenslauf die Rede, aber streckenweise ist so ein Leben auch ein Stolpern und Hinfallen. Ich bin 66, und da kommt so einiges zusammen, das einen belastet. Unfälle, Trennungen, Alkohol, Schicksalsschläge.

Anfang 2023 ist meine damalige Partnerin an Krebs erkrankt und hat sich von mir getrennt. Nach 13 Jahren. Sie wollte nicht, dass ich ihre Krankheit miterlebe, ihr Elend. Also musste ich raus aus der Wohnung. Und jetzt war die große Frage: wohin?

Zuerst war ich in einer Caritas-WG in Feldkirch. Obwohl ich keine Benzos genommen habe, war ich da bei den wöchentlichen Drogentests immer benzo-positiv. Vielleicht eine Nachwirkung von der Entgiftung im Krankenhaus Maria Ebene, ich weiß es nicht. Was ich sehr wohl weiß von mir: Ich habe keine Benzos genommen. Aber das wollt mir keiner glauben.

Ich musste raus aus der WG und bin in die Notschlafstelle. Dort habe ich von dem Verein "dowas" in Bregenz erfahren. "Dowas" heißt "tu was", offiziell ist es die Abkürzung für "Der Ort für Wohnungs- und Arbeitssuchende".

Dieser Verein macht Verschiedenes: Notschlafstelle, dowas-Cafe, Deutschkurse, Suchtberatung. Ich bin da hin und man hat mir dann wirklich extrem geholfen. Ich hab da eine Betreuerin, die ich ein Mal die Woche treffe, so die Basissachen abklären. Und ich hab diese schöne Übergangswohnung in Lochau bekommen, 36 Quadratmeter, eine Wohnung mit Balkon, im fünften Stock, mit Blick auf den kompletten Bodensee. Das ist ein großes Glück. Ich hoffe, ich kann da bleiben bis eine Gemeindewohnung für mich frei wird.

Ene 2023 ist meine ehemalige Partnerin dann gestorben, und ich war mit meiner Betreuerin bei der Beerdigung. Das Schlimme war, dass bei der Verlesung ihres Lebenslaufes, den die jüngste Tochter zusammengestellt hat, ich mit keinem Wort erwähnt wurde. Dabei hab ich für die Kinder alles gemacht.

Das war natürlich ein Schlag ins Gesicht. Ich bin dann in eine derart tiefe Depression gefallen, dass ich wieder angefangen habe zu trinken. Aber da ich das Prozedere kenne, bin ich nach ein paar Tagen gleich wieder trocken gewesen.

Alkohol hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt. Von Anfang an. Damals im Baugewerbe bist du ja zum Trinken verführt worden. Es hat dazugehört.

Alkohol hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt. Von Anfang an. Damals im Baugewerbe bist du ja zum Trinken verführt worden. Es hat dazugehört.

Wo ich in den 1970er Jahren gelernt habe, bei Siemens in Berlin, Betriebsschlosser, da gab es so Automaten-Stationen im Werk, da war auch überall ein Bier-Automat. Und dann mussten die irgendwann entfernt werden. Was glaubst du, was da los war. Die Arbeiter haben gestreikt, die haben sich vor die Automaten-Station gestellt, damit da keiner dazu kann.

Das war eine andere Zeit. Hast du nicht gesoffen, hast du nicht richtig dazugehört. Ob das Tiefbau war, ob das Hochbau war, überall wurde gesoffen. Auch die Fahrer haben gesoffen. Damals war noch 0,8 Umdrehung die Grenze. Wobei ich mir denke, für LKW-Fahrer müsste null die Grenze sein. Es passiert einfach viel zu viel. Und wenn dir ein LKW rauffährt, dann biste zermalmt, dann ist es vorbei.

Ich bin ja ein Urberliner, geboren 1958 in Kreuzberg, großgeworden in Wilmersdorf. 

 

Als Kinder haben wir noch in den Ruinen nach Waffen und Helmen aus dem Weltkrieg gesucht.

 

Als Kinder haben wir noch in den Ruinen nach Waffen und Helmen aus dem Weltkrieg gesucht. Den Militärdienst hab ich freiwillig bei den Amerikanern gemacht, in Berlin gab es ja keine Bundeswehr. Später habe ich in Spandau gelebt, mit einer Polin, mit der ich einen Sohn habe, wir waren 25 Jahre zusammen.

Ich hatte eine 750er Yamaha, und war bei einer Rockergruppe, nicht Member mit speziellem Tatoo und so, nur ein Mitfahrer. Ich hatte einen roten Bartwuchs, links und rechts die Zöpfe, da hab ich mir einen Skip gegeben auf King Rotbart. Lang lang ist's her.

Eines Nachts wollten wir zum Bahnhof Zoo, Getränkenachschub holen, ich hab einen Mitfahrer dabei gehabt, da kam aus einer Parkplatzausfahrt ein PKW im Rückwärtsgang auf unsere Spur, da war alles zu spät. Meinem Kumpel ist nichts passiert, der ist am Begleitgrün gelandet. Aber ich wär tot gewesen, hätt ich keinen Helm aufgehabt. Schädelbruch, Mittelgesichtsbruch, Jochbeinbruch, Nasenbeinbruch, da war alles im Arsch. Mein Gesicht war nur noch eine pure Masse. Das da an der Halskette ist ein Andenken an diesen Unfall, mein letzter eigener Zahn.

Das war aber erst der Anfang meiner Krankenkarriere. 2014 ein neues Hüftgelenk, 2017 eine Magenverkleinerung, zwei Drittel weg, von 131 Kilo bin ich auf 75 runter, dann noch ein Autounfall im trunkenen Zustand, 2018 Entgiftung und psychische Betreuung im Krankenhaus Maria Ebene, und 2020 ein Schlaganfall, zum Glück nur ein kleiner, so ein Streifer, also haben sie mich soweit wieder auf fit gekriegt.

Ich war immer auf Montage, Trockenbau, alles auf Rigips. Im Jahr 2000 haben wir in Dornbirn am Panoramahaus mitgebaut. So hab ich Vorarlberg kennengelernt, und ich hab es hier so schön gefunden, dass ich hier geblieben bin. Die Firma hat mir eine kleine Dachgeschoßwohnung zur Verfügung gestellt. Meine Frau wollte nicht von Berlin ins Ländle ziehen, so ist es schließlich zur Trennung gekommen.

Wie ich wegen meiner kaputten Hüfte nicht mehr am Bau arbeiten konnte, hab ich mit 62 meine Pension beantragt. Weil ich nicht so viel in Österreich gearbeitet habe, waren das dann 370 bis 400 Euro.

Wie ich wegen meiner kaputten Hüfte nicht mehr am Bau arbeiten konnte, hab ich mit 62 meine Pension beantragt. Weil ich nicht so viel in Österreich gearbeitet habe, waren das dann 370 bis 400 Euro. Jetzt hat mir die deutsche Rentenversichung geschrieben, dass ich dort die Rente beantragen kann, da rechne ich mit rund 800 Euro. Der Vorteil der österreichischen Pension ist, dass du zwei Mal im Jahr das Doppelte bekommst, das gibt es in Deutschland nicht.

Ich kann nicht mehr weit laufen, also habe ich dieses Jahr Pflegegeld beantragt, mit einem dicken Stapel an Befunden. Haben sie abgelehnt. Ich hab überlegt, Einspruch zu erheben, aber da haben mir Freunde gesagt: Nein Michael, lass das lieber, weil dann denken sie, du bist aufmüpfig. Stell denselben Antrag ein Jahr später, und beim zweiten Mal wird es meistens bewilligt, ohne Problem. Das dürfte eines von diesen ungeschriebenen österreichischen Gesetzen sein.

Stell denselben Antrag ein Jahr später, und beim zweiten Mal wird es meistens bewilligt, ohne Problem. Das dürfte eines von diesen ungeschriebenen österreichischen Gesetzen sein.

Nachdem meine zweite Partnerin gestorben ist und ich es geschafft hab, wieder trocken zu werden, hab ich mir gedacht: Ich bin jetzt 66 und da fängt ja das Leben erst an, also hab ich 2024 noch einmal angefangen. Und da hab ich über eine Internet-Plattform eine sehr nette Frau kennen gelernt, wir haben uns verabredet, haben Kaffee getrunken, und seitdem sind wir zusammen. Mit getrennten Wohnungen, aber doch zusammen. Sie ist 70, eine Lettin, und hatte vorher niemanden, mit dem sie Deutsch reden konnte.

Ich freu mich schon darauf, mit ihr Silvester zu verbringen. Von meinem Balkon aus ist das fantastisch: Du schaust Richtung Schweiz, du schaust Richtung Deutschland, und von überall steigen die Feuerwerksraketen hoch.

teile die geschichte
  • Instagram - Schwarzer Kreis
  • Facebook - Schwarzer Kreis
  • Twitter - Schwarzer Kreis
bottom of page