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Im Nachhinein betrachtet muss ich sagen: Hätte ich es geplant, ich hätt es nicht getan. Aber ich hatte keinen Plan.
Im Nachhinein betrachtet muss ich sagen: Hätte ich es geplant, ich hätt es nicht getan. Aber ich hatte keinen Plan.
Ich hab nicht gewusst, auf was ich mich einlasse, doch im Moment war es für mich die einzig denkbare Möglichkeit: Einen strikten Cut machen, ohne jegliches Netz. Und das war eigentlich etwas, das meinem rationalen Wesen von davor komplett widersprochen hat.
Jedenfalls hab ich an einem Tag mitten im Juni 2009 mein bürgerliches Leben an den Nagel gehängt. Einfach so. Ich hab einen kleinen Rucksack gepackt, nur das Notwendigste, sommerliches Gewand, Windjacke, Decke, mein Schweizermesser, ein kleines Handtuch. Ich habe die Wohnung abgesperrt, den Wohnungsschlüssel weggeschmissen, und bin, nach ca. 2 Wochen Orientierungslosigkeit, in den Rathauspark übersiedelt.
Ich hab die Wohnung nicht einmal gekündigt, sondern einfach gedacht: Ich bin weg, kommt damit zurecht. Ich hab auch niemand von meinem Umfeld eingeweiht, weil ich gewusst hab, die werden nur versuchen, mir das auszureden.
Der Rathauspark war nun mein neues Wohn-, Schlaf- und Esszimmer. Dort gibt es unendlich viele Parkbänke, eine hab ich mir ausgesucht, dort hab ich im Prinzip jede Nacht verbracht. Es war ein traumhafter Sommer, es gab nur wenige Nächte, wo ich von meiner Parkbank auf eine Bank direkt an der Rathauswand wechseln musste, weil es geregnet hat und kalt war.
Schlafen war also kein Problem. Essen war auch kein Problem, weil es gibt am Rathausplatz den ganzen Sommer über nicht nur ein Musikfilm-Festival, sondern auch jede Menge Gastronomie. Und die Leute haben genug stehen gelassen. Es hat mir an nichts gefehlt.
Auch wenn mein Ausstieg an einem bestimmten Tag stattgefunden hat, ist dem natürlich eine längere Entwicklung vorausgegangen, die letztendlich dazu geführt hat.
Ich hab 19 Jahre lang als Angestellter im Controlling bei einem Elektronikkonzern Zahlen hin- und hergeschupft. Und es ist mir zunehmend idiotisch vorgekommen ist, dafür zu arbeiten, dass einige wenige reicher und reicher werden.
Ich hab 19 Jahre lang als Angestellter im Controlling bei einem Elektronikkonzern Zahlen hin- und hergeschupft. Und es ist mir zunehmend idiotisch vorgekommen ist, dafür zu arbeiten, dass einige wenige reicher und reicher werden. Dann bin ich neben dem Angestellten-Dasein für eine Telefonfirma ins Multi-Level-Marketing eingestiegen und schließlich hab ich ganz in diese Selbstständigkeit gewechselt.
Das war so ein pyramidenartiges Ding: Du baust eine Vertriebsstruktur auf Personen auf und auf Geschäften, persönliches Weitervermitteln, und jeder bekommt einen Anteil. Theoretisch. Praktisch war ich nicht so gestrickt. Eine krasse Fehleinschätzung meinerseits.
Neben all dem habe ich diverse alternative Bücher gelesen, zum Beispiel "Jetzt - Die Kraft der Gegenwart" von Eckhart Tolle. Der ist Ende der 1970er Jahre ausgestiegen, hat alles hinter sich gelassen. Später hat er massenhaft spirituelle Bücher verkauft. Heute schwimmt er wohl in Geld. Aber dieses "Jetzt"-Buch war wahrscheinlich einer der Gründe, warum ich dann, wie mein Erspartes weg war, nicht ins Angestelltenleben zurück bin, sondern etwas komplett anderes gemacht habe. Also zunächst einmal nichts mehr. Keine Lohnarbeit. Aber auch keine Ich-AG.
Ich hasse Kälte und so hab ich mich im Herbst um eine andere Bleibe umgeschaut. Damals hat es noch nicht überall WLan gegeben, also bin ich jeden Tag bei McDonalds gesessen, da gab es frei zugängliches Internet.
Nebenbei habe ich dort von anderen die Tabletts abgeräumt und dabei das eine und andere Übriggebliebene aufgegessen. Das habe ich auch an anderen Orten gemacht. Einmal bin ich am Food-Court in der Millenium City auf einen Platz gekommen, da waren vier komplette Portionen Palatschinken, unangerührt, zwei Stück Palatschinken pro Portion, da war ich dann mehr als satt. Oder ein anderes Mal beim KFC sind da zwei Kübel mit panierten Hühnerflügel stehen geblieben, die waren beide noch halb voll.
Bei meinen Internet-Recherchen bin ich auf die Tauschkreise gestoßen. Und dort bin ich mit einer Frau in Kontakt gekommen, die hat ein Frauen-Fitness-Center betrieben, da durfte ich übernachten. Tagsüber musste ich raus. Also habe ich mich weiter von dem ernährt, was andere stehengelassen haben. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie gesagt hat: Wir haben da noch eine leerstehende Haushälfte, die kannst du bewohnen. Da habe ich dann wieder eine Kochmöglichkeit gehabt und selber gekocht.
Diese Haushälfte war für viele Jahre meine Basis, aber ich habe daneben kreuz und quer gewohnt, weil ich habe über die Kontakte im Tauschkreis und bei der Wiener Tafel, heute Tafel Österreich, Gelegenheit bekommen, über House- und Katzensitting den Wohnbedarf zu decken.
Diese Haushälfte war für viele Jahre meine Basis, aber ich habe daneben kreuz und quer gewohnt, weil ich habe über die Kontakte im Tauschkreis und bei der Wiener Tafel, heute Tafel Österreich, Gelegenheit bekommen, über House- und Katzensitting den Wohnbedarf zu decken. Ich habe mich also um Wohnungen, Pflanzen und Haustiere gekümmert, während deren Besitzer auf Urlaub waren oder arbeitsmäßig weg mussten. Wenn sich Katzensitting-Termine überschneiden schlage ich dort mein Quartier auf, wo mehr Betreuungsbedarf besteht.
Im Tauschkreis werden Dinge und Tätigkeiten getauscht. Eine Stunde Putzen ist da genauso viel wert wie eine Stunde Rechtsberatung. Ich bin so zu Shiatsu-Stunden gekommen, die ich mir in der Geldwelt wohl kaum geleistet hätte.
Ein weiterer Vorteil sind die Sozialkontakte. Mit der Zeit bin ich so neben dem Putzen oder Housesitting auch zu Leuten vermittelt worden, die nicht im Tauschkreis waren. Die haben mich natürlich gefragt, was ich bekomme, aber ich habe nie etwas verlangt. Das war mir wichtig. Und das ist bis heute so: Ich verlange nichts. Und: Ich habe jederzeit die Möglichkeit, nein zu sagen. Wenn mich etwas nicht freut, dann mach ich es nicht. Das ist meine Freiheit. Mein Glück.
Ich verlange nichts, und die Leute geben mir, was sie geben wollen. Was unheimlich cool ist, weil ich dann alles, was ich bekomme, als Geschenk wahrnehme. So habe ich etwas Geld für meine Energiekosten und fürs Einkaufen im Sozialmarkt. Und was bei meinem vielen Herumfahren sehr angenehm ist: Ich muss heute nicht mehr schwarzfahren.
Bei der Wiener Tafel hab ich mich eingeklinkt, um eine sinnvolle Beschäftigung zu haben. Weil ich gemerkt habe, dass sonst mein Hirn verkümmert. Jedenfalls hab ich begonnen, dort ehrenamtlich mitzuarbeiten. Ich hab als Fahrer begonnen, später dann im Büro geholfen, Telefondienst, heute kümmere ich mich um die Datenbank.
Was für Mengen an Lebensmittel, die Supermärkte bei uns entsorgen, das war mir vorher nicht bewusst.
Was für Mengen an Lebensmittel, die Supermärkte bei uns entsorgen, das war mir vorher nicht bewusst. Die Tafel „rettet“ noch essbare Lebensmittel. Nicht aus den Mülltonnen, sondern vorher, also bevor sie entsorgt werden. Das sind in Österreich mehr als 1.000 Tonnen im Jahr, die die Tafel über soziale Einrichtungen an Armutsbetroffene verteilt.
Eigentlich könnte ich auch ehrenamtlich als Partycrasher arbeiten. Ich beschäftige mich tagsüber viel mit ernsten Themen, vor allem mit der Erderhitzung. Ich freue mich natürlich über positive Entwicklungen, zum Beispiel über die starke Zunahme an Solarenergie, aber im Großen und Ganzen habe ich wenig Hoffnung. Wenn ich mich mit Leuten unterhalte, dann bin ich spätestens in drei Minuten bei der Apokalypse. Von der bin ich überzeugt. Es wird krachen. Offen ist dabei nur noch, wann und in welcher Art es krachen wird.
Meine Zukunftspläne sind die gleichen wie vor 15 Jahren: Keine Pläne.
Meine Zukunftspläne sind die gleichen wie vor 15 Jahren: Keine Pläne.