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nicole

LESEZEIT: 10-12 min

Geendet hat das mit dem Besuch beim Hermann Maier im Krankenhaus. Ich war 18, es war meine erste Manie, aber ich hatte das nicht als solche erkannt. Ich hatte keine Ahnung. Ich hatte ja nur die Diagnose Depression.

Die Depression, die ich davor hatte, war aus heiterem Himmel gekommen. Besser gesagt aus düsterem Himmel. Die war wirklich heftig. Ich hab eigentlich eine ganz normale Teenagerzeit gehabt, ich war aufgeweckt, ich war aktiv in diversen Gruppen, ich war Schulsprecherin, hab viel gemacht, und auf einmal bin ich in diese schwergradige Depression gestürzt, also wirklich gestürzt. Ich konnte nicht mehr aufstehen, ich hab nur ans Sterben gedacht, hab mich selbst verletzt, Kopf-gegen-die-Wand, Haare-Ausreißen, schreien vor Verzweiflung.

Das hat fast acht Monate gedauert. Ich war nicht in der Schule und ich hab damals auch mit meiner ersten großen Liebe gebrochen, weil ich mich so als Versagerin gefühlt hab. Meine Eltern waren arbeiten und ich war allein zuhaus, und die Leute haben schon Angst gehabt, dass da was passiert.

Meine zehn Jahre ältere Schwester hat mich da schließlich rausgerissen, die hat mich zu sich geholt und hat mich eingebunden in ihre Familie, hat mir Aufgaben gegeben, zum Beispiel den Neffen vom Kindergarten abzuholen. So hab ich Schritt für Schritt Verantwortung bekommen. Ich hab mir gesagt: Okay, auch wenn ich jetzt von mir nichts mehr halte, meinen Neffen kann ich nicht einfach stehen lassen.

So hab ich Schritt für Schritt Verantwortung bekommen. Ich hab mir gesagt: Okay, auch wenn ich jetzt von mir nichts mehr halte, meinen Neffen kann ich nicht einfach stehen lassen.

Ich bin wieder rausgekommen aus der Depression und schnurstracks in meine erste Manie abgehoben. Meinen Freundinnen, die mich am Boden halten wollten, hab ich gesagt: Ihr seid lustig, ihr wollt gar nicht, dass ich wieder fröhlicher bin und glücklicher, was ist los mit euch? Dabei war das nicht verwunderlich, dass ihnen mein Verhalten zu viel geworden ist: Ich war ständig unterwegs, ich war ständig auf Achse, ich hab viel Geld ausgegeben und mir von allen Leuten Geld ausgeborgt. Mein Vater hat im Nachhinein alle nur noch gefragt: Und wie viel schuldet sie dir? Der ist mit dem Zurückzahlen gar nicht nachgekommen.

Ich hab einen Tumult in mein Umfeld reingebracht. Ich bin ohne Geld nach Italien gefahren. Ich hab meine beste Freundin um drei in der Nacht in Wolfsberg ausgesetzt. Ich hab mir mit der Kreditkarte meines Vaters in Loipersdorf alle möglichen Behandlungen gegönnt.

Geendet hat das mit dem Besuch beim Hermann Maier im Krankenhaus. Ja, bei dem bekannten Skifahrer. Der hatte damals, 2001, einen Motorradunfall und es hatte geheißen, er habe Depressionen. Und ich wollt zu ihm und wollt ihm sagen, dass er sich nicht sorgen muss, weil Depressionen vergehen und es wird alles wieder gut. Das wollt ich ihm einfach sagen.

Ich hab ihm von diesem Thermenaufenthalt in Loipersdorf so kleine Goodies mitgenommen, Schnaps und so. Ich kann mich erinnern, ich bin dort ins Krankenhaus rein, barfuß, Beine und Arme bemalt mit Bäumen und Blättern, am Kopf einen Efeukranz. Ich hab mich toll gefühlt und wollt das mit dem Hermann Maier teilen. Sie haben mich beim Portier abgefangen. Ich bin dann eine Weile mit dem Auto in Salzburg herumgefahren und hab mich schließlich selbst eingeliefert.

Ich hatte damals viel Glück mit meinem Klassenvorstand und der Schulpsychologin, die haben sich für mich eingesetzt und ich durfte diverse Prüfungen nachmachen und mit meiner Klasse maturieren.

Ich hatte damals viel Glück mit meinem Klassenvorstand und der Schulpsychologin, die haben sich für mich eingesetzt und ich durfte diverse Prüfungen nachmachen und mit meiner Klasse maturieren. Obwohl, einige Leute Angst vor mir gehabt haben, weil: Eine Wahnsinnige! Eine Verrückte! Das hat mich schon gekränkt.

Mittlerweile habe ich die Diagnose der bipolaren affektiven Störung seit 22 Jahren, seit zwei Jahren mit Ultra Rapid Cycling, das heißt, ich schwanke sehr stark, die Stimmungsumschwünge kommen bei mir in viel kürzeren Abständen als bei normal Erkrankten, so alle vier bis sechs Wochen. Im Moment bin ich stabil, aber seit zwei, drei Tagen merke ich erste Anzeichen einer Verstimmung, ein ständiges Zweifeln, Angst, beinahe hätte ich euch abgesagt. Ich muss jetzt versuchen, diesen Dämonen entgegenzutreten.

Nach 22 Jahren weiß man, welche Tabletten wirken und welche nicht. Ich nehm Stabilisatoren, welche die Extreme kappen, eher selten Antidepressiva, weil die können auch Manien auslösen, und in der Manie hauptsächlich Tranquilizer. Wichtig ist, die Medikamente immer mit professionellen Ärztinnen einzustellen und umzustellen.

 

Aber Medikamente sind nicht alles, wichtig ist für mich auch, dass ich aktiv Pausen einlege, Achtsamkeitsübungen mache, Atemübungen, Sport. Man braucht auch Struktur, um in der Depression aus dem Bett zu kommen, und in der Manie nicht zu sehr abzuheben.

Aber Medikamente sind nicht alles, wichtig ist für mich auch, dass ich aktiv Pausen einlege, Achtsamkeitsübungen mache, Atemübungen, Sport. Man braucht auch Struktur, um in der Depression aus dem Bett zu kommen, und in der Manie nicht zu sehr abzuheben. Und auch ganz pragmatische Vorkehrungen: Zum Beispiel keinen Überziehungsrahmen beim Bankkonto zu haben. Und ein gutes Auffangnetz und Korrektiv: Das sind bei mir die Eltern, meine Freundinnen und "Crazy Turn".

"Crazy Turn - Ich bin bipolar" ist ein Podcast, den meine Freundin Viktoria und ich seit zwei Jahren zum Thema bipolare affektive Störung machen. Zum einen erzähle ich dort über meine ganz persönlichen Erfahrungen, zum anderen kommen diverse Expertinnen von außen zu Wort. Aber wir haben zum Beispiel auch drei Folgen mit Freunden und  Freundinnen gemacht, die davon erzählen, wie schwierig es für sie manchmal ist, mit mir befreundet zu sein, vor allem in meinen manischen Phasen, wenn ich überdrüber bin.

Für diesen Podcast haben wir im Oktober 2023, ex aequo mit dem Kurier-Podcast "Ich weiß, wie es ist", den Stephan-Rudas-Preis für  Berichterstattung über psychische Erkrankungen bekommen, was uns sehr gefreut hat. Das Preisgeld haben wir sofort in ein besseres Equipment investiert, um uns da noch mehr zu professionalisieren.

 

"Crazy Turn" ist seit 2022 auch ein Verein, der volle Name ist "Crazy Turn - normal?! ABnormal, egal _ Verein zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen", da treffen sich Menschen mit unterschiedlichen psychischen Erkrankungen, die einander helfen und versuchen, auch gesellschaftlich etwas weiter zu bringen. Es ist eine Mischung aus Selbsthilfegruppe, Netzwerk und Verein.

Unglücklich bin ich mit dem Terminus der "Berufsunfähigkeit", das ist eigentlich mein größtes Stigma.

Dass ich eine psychische Erkrankung habe, dafür kann ich nichts. Aber Berufsunfähigkeit? Ich bin nicht unfähig. Ich kann sehr viel, ich kann es halt nicht kontinuierlich leisten.

Dass ich eine psychische Erkrankung habe, dafür kann ich nichts. Aber Berufsunfähigkeit? Ich bin nicht unfähig. Ich kann sehr viel, ich kann es halt nicht kontinuierlich leisten.

Vor allem in den Anfangsphasen einer Manie, in der sogenannten Hypomanie, krieg ich einiges auf die Reihe. Ich mach ja nicht nur den Blog und engagiere mich für den Verein, ich arbeite auch ehrenamtlich mit Kindern beim Wiener Hilfswerk, und ich arbeite bei WienTV.org mit, wo wir zum Beispiel Initiativen unterstützen, die sonst kaum eine Bühne haben.

Bei diesen Projekten sinnvoll tätig zu sein, mein soziales Umfeld und ein Mal die Woche mit meinem Onkel durch den Lainzer Tiergarten zu spazieren, das macht mich glücklich. Unglücklich machen mich die politischen Entwicklungen, wenn ich zum Beispiel denk, wer in unserer nächsten Regierung sitzen wird.

 

Aber nichts währt ewig, keine Regierung, keine Depression, keine Manie, da gibt es immer einen Hoffnungsschimmer, auf den man zugehen kann, in kleinen Schritten, aber doch.

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