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patricia

LESEZEIT: 10-12 min

Mit 50 habe ich einen großen Zusammenbruch gehabt: stundenlange Panikattacken, Bilder von früher sind aufgetaucht, ich habe mich nicht mehr bewegen können. Mit intensiver Therapie habe ich es geschafft, dass es mir heute gut geht. Und dass das Arbeiten zum ersten Mal richtig Spaß macht.

 

Ich bin gelernte Parfümerie -Verkäuferin, war bis zu meinem 22. Lebensjahr in einer Parfumerie tätig, dann habe ich ins Büro gewechselt: von Bier über Mineralwasser bis hin zu Computern und zur Sicherheitstechnik. Zum Schluss war ich Abteilungsleiterin in einer Computerfirma - bis das erste Kind gekommen ist. Ich habe immer mit wenigen Stunden angefangen, mit mehr Wissen und Aufgaben wurde ich aufgestockt. Und immer, wenn ich was aufgebaut hatte, habe ich etwas Neues gemacht. Beim ersten Kind war ich 30, das zweite Kind ist 1.5 Jahre später gekommen. Die Kinder sind 23 und 25, erwachsen. Heute genieße ich es, mich auf mich selbst zu konzentrieren. Mein Mann und die Kinder lassen mir ausreichend Freiheiten - wie zum Beispiel die rosa Haare oder die Tattoos. Das hätte ich mich früher nicht getraut.

Mit den Tattoos habe ich vor 6 Jahren, also zu meinem 50er angefangen. Das erste war der Schutzengel am Oberarm. Er sollte mich beschützen, als ich noch nicht gewusst habe was mit mir los ist.

 

Mit den Tattoos habe ich vor 6 Jahren, also zu meinem 50er angefangen. Das erste war der Schutzengel am Oberarm. Er sollte mich beschützen, als ich noch nicht gewusst habe was mit mir los ist. Nach der ersten Therapie bin ich auf eine Zitrone gekommen. Das ist für mich eine Metapher für: Es kommt immer anders als man glaubt. Zuerst wollte ich mir eine Zitrone tätowieren, aus ihr wurde ein Zitronenfalter, und dann wurde ein Schmetterling daraus. Der sitzt jetzt am Schulterblatt. In der Reha habe ich Frauen kennen gelernt, deren Männer und Familien kein Verständnis für ihre psychischen Erkrankungen haben. Meine Kinder und mein Mann stehen zum Glück hinter mir.  

Und weil wir gern gemeinsam Kaffee trinken, trage ich am Unterarm eine Kaffeetasse mit unseren Namen und einem Herz. Wir setzten uns als Paar mindestens einmal in der Woche zum Kaffeetrinken zusammen. Das ist unsere Zeit. 

Und weil wir gern gemeinsam Kaffee trinken, trage ich am Unterarm eine Kaffeetasse mit unseren Namen und einem Herz. Wir setzten uns als Paar mindestens einmal in der Woche zum Kaffeetrinken zusammen. Das ist unsere Zeit.  Und ganz zum Schluss ist ein Löwe dazugekommen, mein Krafttier. Heute will ich nicht nur Löwin sein, sondern ich fühle mich aus so. Meine Veränderung kann man auf meinem Körper ablesen, ich zeige sie gerne her. Ich bin stolz drauf, was ich alles geschafft habe.

 

Mein Zusammenbruch hatte etwas mit meinen ersten 20 Lebensjahren zu tun, mit Misshandlungen jeder Art, psychisch und körperlich. Aber ich habe mich an nichts erinnern können. Ich war beschäftigt mit dem Job, dem Mann und den Kindern. Erinnerungen waren keine da. Ich hatte alles verdrängt.

Ich war beschäftigt mit dem Job, dem Mann und den Kindern. Erinnerungen waren keine da. Ich hatte alles verdrängt.

Als die Kinder dann größer geworden sind, sind auf einmal Bilder aus der Vergangenheit aufgetaucht. Blitzlichter von Wörtern. Mein Körper hat dann angefangen, sich nicht mehr zu bewegen. Ich bin in der Früh im Bett gelegen, wollte aufstehen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Arme und Beine waren schwer wie Blei, als würden 100 Kilo auf mir draufliegen. Gott sei Dank konnte ich schlucken und atmen. Aber die Arme und Beine konnte ich nicht bewegen. Kein Chef akzeptiert eine Mitarbeiterin, die einmal in der Woche nicht kommt, weil sie sich nicht bewegen kann. Das hat mich den Job gekostet. Einmal ist mir das beim Arzt im Warteraum passiert. Ich habe mich zur Nachbarin hinübergebeugt und konnte mich nicht bewegen. Ich wurde ins Krankenhaus gebracht, aber sie haben nichts gefunden.

 

Heute kann ich drüber lachen. Aber es hat 4 Jahre gedauert, bis klar war, was mit mir los ist. Zuerst habe ich gedacht, es hat mit meiner Schlafkrankheit zu tun. Ich habe nämlich eine Schlafkrankheit: Ich kann irrsinnig viel schlafen. Zweimal bin ich sogar beim Autofahren eingeschlafen. Ein drittes Mal wollte ich es nicht herausfordern und seitdem fahre ich nicht mehr Auto. Ich bin gut eingestellt und nehme Medikamente, die mich munterhalten. Vergessen darf ich sie nicht, sonst sitze ich im Zug und wache irgendwo auf. Trotz meiner Schlafkrankheit habe ich eine erfolgreiche Karriere hingelegt. Meine Devise war: „Augen zu und durch."

Ich bin mit dem Sprichwort „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ aufgewachsen. Aber irgendwann hat der Körper gesagt: "Aus!!!"
Ich habe eine stundenlange Panikattacke bekommen.

 

Ich bin mit dem Sprichwort „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ aufgewachsen. Aber irgendwann hat der Körper gesagt: "Aus!!!" Ich habe eine stundenlange Panikattacke bekommen.
Es war zu Silvester, als sie angefangen haben, Raketen zu schießen. Es hat sich angefühlt als würde ich unter einem Blechdach sitzen, auf das Bomben fallen. Ich habe mich unter meine Pölster verkrochen, geweint und gezittert. Erst um drei, vier in der Früh bin ich vor Erschöpfung eingeschlafen. Danach habe ich den Verein Lichterkette kontaktiert. Sie haben mir durch die schwere Zeit geholfen. Mich bei der Suche nach dem richtigen Weg zur Besserung unterstützt. Und sehr bald bin ich zum Psychiater.

 

Als mich der Psychologe auf meine Bilder angesprochen hat, kam wieder ein Panikattacke, ich bin in ein Weinen hineingefallen und konnte mich nicht einmal mehr erinnern, wie ich heiße. Auf Anraten des Psychologen habe ich ein Reha-Jahr beantragt. Ich habe mich in stationäre Behandlung begeben, habe blind vertraut und nichts hinterfragt, ich habe mich auf eine Konfrontationstherapie eingelassen. Gemeinsam mit der Psychologin haben wir ein Trauma ausgesucht, an das ich mich erinnern kann. Wir haben die Szene sekündlich wiederholt, sie hat mir gezeigt, wie ich aus meiner Unbeweglichkeit wieder herauskomme. Das wurde aufgezeichnet und ich habe mir es wieder und wieder angehört. Ich habe gelernt, wie ich vorher spüre, dass was kommt und ich weiß: Jetzt muss ich was dagegen tun.

Es gibt immer einen Auslöser. Ein Wort, ein Geruch, ein Bild. Wenn ich mich dann nicht ausruhe und mich auf mich konzentriere, lande ich am Randstein, heulend, wie ein kleines Kind.

 

Es gibt immer einen Auslöser. Ein Wort, ein Geruch, ein Bild. Wenn ich mich dann nicht ausruhe und mich auf mich konzentriere, lande ich am Randstein, heulend, wie ein kleines Kind. Und dann dauert es lang, bis ich wieder rauskomme. Aus dem insgesamt vier Jahre mit je 12 Wochen stationärer Aufenthalt wurden. Jede Therapie und jedes Jahr haben mich weitergebracht. Die vier Jahre ware der Horror, denn mir ist bewusst geworden, dass ich in meinem Leben so viel verpasst habe. Nur wegen einer Person, die meine Kindheit verpfuscht hat. Zum Glück waren immer zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Menschen da. Zum Beispiel eine Ärztin, vor der jeder Bammel gehabt hat. Sie war einmal bei der Visite dabei. Und ich habe sie gesehen und ich bin erstarrt. Und sie hat mich angeschaut und gesagt: Sie sind in einer Dissoziation drinnen. Seitdem das Nicht-Bewegen-Können einen Namen hat, habe ich gelernt, damit zu leben und damit um zu gehen.

 

In der Konfrontation mit meiner Vergangenheit habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Trauer gespürt – und Sehnsucht. Ich habe mir gedacht: ich will nach Hause, zu meiner Familie, meinem Mann und den Kindern. Ich bin schon gespannt, welches Gefühl als nächstes auftaucht.

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