phönix
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Der ganze Körper hat mir weh getan. Als ob eine Pferdeherde drübergetrampelt wär. Oder als ob mich wer ganz arg verprügelt hätt. Wer das nicht selber gehabt hat, glaubt es einem nicht. Dass Long Covid tatsächlich so lang dauern kann. Dass man über eine so lange Zeit derart schlecht beieinander sein kann.
In der ersten Zeit hab ich es nicht einmal geschafft, eine Stunde lang durchgehend wach zu bleiben. Ich hab starke Kopfschmerzen gehabt. Ich hab starke Gliederschmerzen gehabt. Kreislaufprobleme, Erschöpfung, Atemnot, Herzrasen.
Das verändert dein Leben radikal, wenn du körperlich nicht mehr belastbar bist, und all die Sachen nicht mehr machen kannst, die du möchtest. Geistig willst du es ja, aber der Körper macht nicht mehr mit. Sogar banale Dinge wie anziehen bringen dich außer Atem, verursachen gleich Herzrasen. Oder duschen. Und dann das Sich-Abtrocknen. Dazu hab ich mich hinsetzen müssen, um nicht gleich umzufallen.
Jetzt liegst eh schon am Boden, und dann kommen noch die Existenzsorgen dazu, weil das Krankengeld so niedrig ist. Ich hab um Ergänzung durch Sozialhilfe ansuchen müssen, weil ich nur 678 Euro Krankengeld gekriegt hab bei 560 Euro Fixausgaben, und da hab ich noch nicht einmal einen Bissen gegessen. Von der aktuellen Teuerung ganz zu schweigen.
Jetzt liegst eh schon am Boden, und dann kommen noch die Existenzsorgen dazu, weil das Krankengeld so niedrig ist. Ich hab um Ergänzung durch Sozialhilfe ansuchen müssen, weil ich nur 678 Euro Krankengeld gekriegt hab bei 560 Euro Fixausgaben, und da hab ich noch nicht einmal einen Bissen gegessen. Von der aktuellen Teuerung ganz zu schweigen.
Als Krönung hab ich eine Nachzahlungsforderung von meiner Vermieterin bekommen, 1.500 Euro, eine Indexanpasssung, die sich über drei Jahre summiert hat. Ich war einen Monat lang damit beschäftigt, das Geld aufzutreiben.
Ohne Krankheit bin ich eine Kämpferin. Ich bin ja schon etliche Jahre im Vorstand beim Verein AMSEL und moderiere jeden zweiten Donnerstag eine Live-Radiosendung von unserem Arbeitslosen-Stammtisch. AMSEL heißt in der Langform "Arbeitslose Menschen Suchen Effektive Lösungen". Wir begleiten Leute auch manchmal auf Ämter, was eine sehr große Hilfe für sie ist, weil es da ziemlich viele Beschämungssituationen gibt. Einmal haben ein Kollege und ich eine Frau sogar vor einer Delogierung retten können.
Egal ob Arbeitsamt oder Sozialamt, du hast grundsätzlich das Recht, von einer Vertrauensperson begleitet zu werden. Wir vom Verein AMSEL haben sogar ein Vertretungsrecht. Wenn der Klient einverstanden ist, dürfen wir in seinem Namen auch Niederschriften machen.
Ich hab eine Zeit lang eine arbeitslose Frau zum AMS begleitet, die konnte schon Wochen vor ihrem Termin nicht mehr schlafen und hat sich das Ohr blutig gekratzt, weil das für sie so belastend war. Sie hat da schlechte Erfahrungen gemacht. Es gibt strenge gesetzliche Vorgaben, was als zumutbar gilt, aber für bestimmte Menschen ist es dann doch nicht zumutbar, und da entsteht eine enorme Überforderungsituation, gesteigert durch den drohenden Entzug der Existenz mit Geldsperren.
Dazu kommt, dass du kaum Mitspracherecht hast, was Maßnahmen, Ausbildungen und Jobs betrifft. Sie können dir beinhart alles überstülpen, und das sind dann nicht selten Jobs bei Leihfirmen oder sonstige prekäre Jobs, die zu Recht kein Mensch freiwillig machen will.
Dazu kommt, dass du kaum Mitspracherecht hast, was Maßnahmen, Ausbildungen und Jobs betrifft. Sie können dir beinhart alles überstülpen, und das sind dann nicht selten Jobs bei Leihfirmen oder sonstige prekäre Jobs, die zu Recht kein Mensch freiwillig machen will. Und all das kann sehr an dir nagen, noch dazu, wo du dabei immer ein bisschen ins kriminelle Eck gestellt wirst, von wegen du bist eh nur eine Sozialschmarotzerin, ein Tachinierer.
Wir haben oft damit zu tun, dass Leuten das Arbeitslosengeld gesperrt wird und sie selber erst davon erfahren, wenn sie kein Geld auf ihrem Konto finden. Das heißt, sie kriegen nicht einmal Bescheid über eine Sperrung.
Wir haben oft damit zu tun, dass Leuten das Arbeitslosengeld gesperrt wird und sie selber erst davon erfahren, wenn sie kein Geld auf ihrem Konto finden. Das heißt, sie kriegen nicht einmal Bescheid über eine Sperrung. Wir kritisieren das auch grundsätzlich, dass Menschen der Bezug gesperrt wird für sechs oder acht Wochen, weil wenn die Leute ihren Mieten nicht zahlen können und auf der Straße landen, ist das dann auch nicht gerade hilfreich für die Jobsuche.
Bei diesen Bezugssperren ist es nicht nur so, dass die Betroffenen nicht darüber informiert werden, sondern sie werden auch nicht angehört. Wenn du wo hingeschickt wirst und dem potentiellen Arbeitgeber aus welchen Gründen auch immer nicht zu Gesicht stehst, kann der dem AMS alles Mögliche rückmelden. Du siehst das nicht. Du hast plötzlich die Sperre und weißt nicht warum. Da kann drinnen stehen, dass du eine Anstellung bewusst vereitelt hättest oder angetrunken hingekommen seist, obwohl das eigentlich nicht der Fall war. Vielleichst hast du nur eine kritischere Frage gestellt, die dem Unternehmer nicht gepasst hast.
Bei meiner Aufstockung vom Krankengeld hab ich einen Betreuer gehabt, der sich sehr bemüht hat. Vielleicht liegt das an meinem Auftreten. Weil ich hab gleich klar gemacht, dass ich im sozialen Bereich engagiert bin, zum Beispiel beim Armutsnetzwerk Steiermark, in der Arbeitsgruppe Sozialhilfegesetz, beim Theater interACT, wo wir soziale Themen auf der Bühne behandeln, und als gewählte Vertreterin der Plattform "Sichtbar werden" der Armutskonferenz.
Ich war auch schon einmal als Delegierte in Brüssel bei dem jährlichen Treffen von Menschen mit Armutserfahrungen aus ganz Europa. Das war schon besonders. Da konnte ich mich in der Pause bei einem Kaffee ganz nett mit der damaligen irischen Sozialministerin Joan Burton unterhalten, einfach so. Heuer hätte ich als "National Coordinator" mitfahren sollen, doch dann ist meine Erkrankung dazwischen gekommen.
Eigentlich wollte ich als Jungendliche Tiermedizin oder Zoologie studieren, aber das hat meine Mutter zu verhindern gewusst. Weil Arbeit soll ja schlimm sein und darf nicht Spaß machen, sonst ist es keine Arbeit, das war ihre Einstellung.
Meine Mutter hat mir jede Menge angetan. Gott sei Dank hab ich seit 20 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr. Ich durfte nicht ins Gymnasium, weil die Hauptschule war viel näher. Also Hauptschule, Handelslehre in einer Farbenfachhandlung, wo ich die schweren Dispersionskübeln schleppen musste und mir so meine Knie nachhaltig ruiniert hab.
Später hab ich in einem Schmuck- und Handschuhladen gearbeitet, da hab ich mit der Abendschule begonnen, aber das ist sich letztendlich nicht ausgegangen, weil ich so oft Überstunden machen musste. Ich hab in einem Baumarkt gearbeitet, und in der Gastro, und als DJane in einer Diskothek, da hab ich mir den Künstlernamen Phönix zugelegt.
Später hab ich in einem Schmuck- und Handschuhladen gearbeitet, da hab ich mit der Abendschule begonnen, aber das ist sich letztendlich nicht ausgegangen, weil ich so oft Überstunden machen musste. Ich hab in einem Baumarkt gearbeitet, und in der Gastro, und als DJane in einer Diskothek, da hab ich mir den Künstlernamen Phönix zugelegt.
Dann hab ich mir in einem Call-Center ein gewaltiges Burnout erarbeitet: 60 Stunden, und ein Jahr lang kein Urlaub, weil sich die Leihfirma geändert hat mitten im Jahr. Zwei Jahre hab ich im AMS gekämpft, bis ich eine Ausbildung zur sozial- und berufspädagogischen Trainerin machen durfte. 2021 hab ich noch die Ausbildung zur Kinderbetreuerin und Tagesmutter gemacht, und seit vorigem Jahr arbeite ich als Kinderbetreuerin in einem Hort. Ich bin froh, dass das ein Mangelberuf ist, weil sonst wär ich wegen meiner Long-Covid-Erkrankung schon längst rausgeflogen.
Erholen kann ich mich am besten bei den Pferden. Ich bin von Kind auf eine Pferdenärrin. Ich betreue Pflegepferde. Das heißt, die Tiere gehören jemand anderen und du darfst die putzen und streicheln. mit ihnen spazieren gehen und die Bodenarbeit machen. Du kriegst nichts dafür, aber du musst auch nichts bezahlen.
Der Pferdehof ist 15 Minuten Fußweg von mir daheim. Ich komm so oft her wie möglich. Ich geh auf in diesen tollen Lebewesen und lass dabei all die schweren Probleme draußen, den ganzen Wahnsinn. Die schlimmen Geschichten, die ich bei meinen ehrenamtlichen Tätigkeiten mitbekomme. Den Trubel im Job. Die Existenzängste.