sonja k
LESEZEIT: 04-06 min
Als Kind war ich eigentlich sehr reich. Reich an vielfältigen Erfahrungsmöglichkeiten, in der Natur, mit Tieren, mit Pflanzen. Dieses Staunen über Schönes in der Natur, das hab ich heute noch. Es ist für mich eine Quelle des Glücks. Und es kostet nichts.
Ich hab als Kind voll viel Freiheit gehabt. Mir würd das Herz still stehen, wenn meine Kinder heute die Dinge machen würden, die für mich selbstverständlich waren: Auf hohe Bäume klettern, steile Abhänge mit dem Radl runterfahren und so.
Ich bin in einem ganz kleinen Dorf aufgewachsen, am Bauernhof. Und es gab damals noch eine Volksschule im Dorf, eine Schule für 20 Kinder. Die Kleinen hatten Unterricht von acht bis zehn Uhr, die Größeren dann ab zehn.
Ich bin das jüngste von sechs Kindern. Meine Eltern haben ihr Leben lang ganz schwere körperliche Arbeit verrichtet, ein einfach unglaubliches Arbeitspensum bewältigt. Mit den älteren Geschwistern, einer Nichte, einer Tante und Großvater waren wir eine recht große Familie, und ich denk, wenn wir heranziehen, wie man heute Armut in Österreich definiert, dann waren wir wohl arm, aber das hab ich als Kind überhaupt nicht so gefühlt. Es ging ja allen in der Gegend ähnlich. Es gab eine einzige Familie von Akademikern im Dorf, und zu denen gab es eine Distanz, ja. Aber das hatte auch mit der gedanklichen Enge zu tun in diesem kleinen Dorf.
Ich war ein Kind, das sehr gut war in der Schule, eigentlich herausragend. Und ich hab wahnsinnig viel gelesen, ich hab einfach alles gelesen, was ich in die Finger gekriegt hab. Ich hab wirklich alle Bestände aller verfügbaren Bibliotheken ausgelesen.
Was es nicht gab und was mit der sozialen Herkunft zu tun hat, ist, dass man darin Möglichkeiten sieht. Das war nicht vorstellbar. Für das Kind nicht, weil es das nicht weiß. Für die unmittelbare Umgebung nicht, weil sie es auch nicht wissen. Auch in der Schule hat es die Idee einer Förderung nicht gegeben. Das Leben war etwas, das man bewältigen muss. Und nicht etwas, wo man sich was aussuchen kann.
Was es nicht gab und was mit der sozialen Herkunft zu tun hat, ist, dass man darin Möglichkeiten sieht. Das war nicht vorstellbar. Für das Kind nicht, weil es das nicht weiß. Für die unmittelbare Umgebung nicht, weil sie es auch nicht wissen. Auch in der Schule hat es die Idee einer Förderung nicht gegeben. Das Leben war etwas, das man bewältigen muss. Und nicht etwas, wo man sich was aussuchen kann.
Und dann gab es mit 13, 14 ein Erlebnis, das für mich eine sehr große Zäsur war. Wo es für mich ein Vorher und ein Nachher gibt. Ein Erlebnis, das mich verschreckt und im Sozialen sehr eingeschränkt hat. Und mich tatsächlich auch Jahrzehnte geprägt hat. Mein Verhalten war dann lange Zeit so, dass ich versucht hab, dem, was mir Angst macht, auszuweichen. Wobei mir dieses Muster nicht bewusst war.
Ich bin in die Handelsakademie gegangen, aus dem Grund, weil ich mich nicht getraut hab, von daheim wegzugehen. Und das war halt was Erreichbares. Und danach hatte ich keine Idee, was ich machen könnte. Ich weiß noch, wie ich den Studienführer angeschaut hab und bei manchen Sachen dieses Gefühl hatte: Wow, das kann man studieren! Wie geil! Wobei das für mich nicht vorstellbar war, das war zu weit weg von meinem Milieu, Afrikanistik zum Beispiel, oder Politikwissenschaften.
Also hab ich schließlich Pädagogik studiert, aber ganz lange gebraucht für den Abschluss, weil mit 24 bin ich das erste Mal schwanger geworden, was mich sehr gefreut hat, und auch ein willkommener Grund war, das Studium zu unterbrechen.
Der Vater von meinem ersten Kind und ich haben uns getrennt, und ich hab sehr bald mit einem anderen Mann zusammen gelebt und mit ihm Kinder gekriegt, doch das ist dann eine sehr heftige Gewaltbeziehung geworden. Andererseits war es zu Beginn eine sehr nahe und geborgene Beziehung, die sehr viel bei mir aufgemacht hat. Und dann war es ganz schwer, mich daraus zu lösen, das hat extrem lang gedauert. Ich habe 13, 14 Jahre lang immerzu im Krisenmodus gelebt. Und in der Zeit hab ich für die fünf Kinder gesorgt.
Das hat mich natürlich sehr kaputt gemacht für lange Zeit, dass die Lebensumstände so schwer waren. Dass ich selber nichts gehabt hab, worauf ich noch stolz war. Dass ich gewusst hab, die Art wie wir leben, ist für die Kinder nicht gut.
Weil es ständig Streit gab. Weil es ständig Drohungen gab. Und weil mich diese Drohungen, Abwertungen und Beschimpfungen total zersetzt haben, nervlich.
Weil es ständig Streit gab. Weil es ständig Drohungen gab. Und weil mich diese Drohungen, Abwertungen und Beschimpfungen total zersetzt haben, nervlich.
Das war eine irrsinnig schwere Zeit und wir hatten sehr wenig Geld. Das war auch in der Zeit so, wo mein Partner recht gut verdient hat, weil er oft Geld an die Familie in Nigeria geschickt hat. Ich hab das auch mitgetragen. Man kann nicht den Eltern kein Geld geben, wenn die sich sonst zum Beispiel keine medizinische Behandlung leisten können.
Später, als er dann arbeitslos war, war es einige Jahre lang so, dass wir uns selber schwer Dinge leisten konnten, und ich am Ende des Monats nicht mehr gewusst hab, wie ich was zu essen kaufen soll. Das ist extrem stressig. Und es ist schwierig, innerlich dagegen zu halten, dass man sich nicht schämt dafür, in so einer Lage zu sein. Selbst wenn man weiß, dass das gesellschaftlich bedingt ist, ist es voll schwierig.
Zum Beispiel die Scham, dass ich mir nur Secondhand-Kleidung kaufen kann. Oder dass ich am Ende des Monats Plasma spenden geh, damit ich noch Milch und Brot kaufen kann. Das erzählt man niemandem gerne. Aber es tut nicht gut, in bestimmten Bereichen so ein verborgenes Leben zu entwickeln.
Zum Beispiel die Scham, dass ich mir nur Secondhand-Kleidung kaufen kann. Oder dass ich am Ende des Monats Plasma spenden geh, damit ich noch Milch und Brot kaufen kann. Das erzählt man niemandem gerne. Aber es tut nicht gut, in bestimmten Bereichen so ein verborgenes Leben zu entwickeln.
Jetzt kann ich darüber reden, weil es mir wesentlich besser geht, psychisch und finanziell. Was mir sehr geholfen hat, ist, selber eine Arbeit zu haben. Ich hab mein Studium 2013 endlich fertig gemacht, das war ein ziemlicher Kraftakt. Heute arbeite ich mit Menschen mit Behinderung, in meinem zweiten Job führe ich Befragungen durch. Beides gefällt mir gut, weil es da immer wieder zu geglückten Begegnungen kommen kann.
Geholfen hat mir auch, dass ich mich aus der Beziehung gelöst und mich um mein psychisches Wohlergehen gekümmert hab. Die psychosoziale Versorgung ist ein extrem wichtiger Faktor, um aus der Armut rauszukommen. Weil das hat mich erst in die Lage versetzt, beruflich wieder neue Perpektiven ins Auge zu fassen. Eine gute Sozialpolitik und Psychotherapie auf Krankenschein, das wären super Antidepressiva, die mir persönlich viel erspart hätten.
Ich möchte noch einen Berufswechsel machen und habe eine Psychotherapie-Ausbildung angefangen. Das Propädeutikum hab ich schon gestemmt, das hat mich fast 6.000 Euro gekostet über vier Semester. Eigentlich ist das eine Sauerei, dass der Zugang zu dieser Ausbildung so elitär ist. Und es ist auch schlecht für die Qualität: Denn so gibt es in diesem Bereich kaum Leute mit Migrationshintergrund oder aus den unteren Einkommensschichten, und damit auch weniger Verständnis für diese Menschen.