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LESEZEIT: 10-12 min

tommy

Natürlich bekommen die Kinder das mit. Sie wissen nicht, was da genau los ist, aber sie bekommen mit, wie es dir geht und wie was abläuft.

Eine Zeit lang haben wir in einem Hotel in Baden gewohnt und wurden von einem Heroin-Dealer aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen versorgt. Dieser Dealer hat den Stoff immer im Mund transportiert, in kleinen Plastikkugeln. Eines Morgens waren wir am Krachen und schafften es nicht aus dem Bett. Unser erster Sohn war damals drei und er wollte, dass wir aufstehen und uns um ihn kümmern, also hat er den Dealer gespielt und irgendwas in den Mund genommen und uns dann gegeben.

Eigentlich müssten Alarmglocken schrillen, wenn so etwas passiert, aber nicht bei Süchtigen.

Eigentlich müssten Alarmglocken schrillen, wenn so etwas passiert, aber nicht bei Süchtigen. Ich habe erst in den letzten Jahren bei Workshops der Sucht- und Drogenkoordination gelernt, was da in deinem Gehirn passiert. Du kannst keine vernünftige Entscheidung treffen, wenn du süchtig bist. Du lebst in einer Fantasiewelt.

Ich bin in Sarajewo geboren. Meine Vorfahren stammen aus Österreich, mein Uropa ist vor dem Ersten Weltkrieg nach Kroatien ausgewandert. So gesehen bin ich nach Österreich zurückgekommen. Das war 1990, nach meinem Militärdienst.

Mein Onkel war der Vorsitzende in einer Bank im ehemaligen Jugoslawien und ich sollte in Wien eine Expositur aufbauen. Wir haben zwei Büros gehabt, alles schon registriert und schön eingerichtet, aber dann hat im März 1992 der Krieg in Bosnien angefangen und alles ist anders gekommen, alles ist den Bach runtergegangen.

Vor dem Krieg war ich Jugoslawe, jetzt war ich auf einmal Kroate, das war eine seltsame Erfahrung.

 

Vor dem Krieg war ich Jugoslawe, jetzt war ich auf einmal Kroate, das war eine seltsame Erfahrung. Mein Onkel hat ein Gasthaus im Burgenland gepachtet, eines mit Zimmern, und da haben dann rund 30 Geflüchtete aus Bosnien gelebt, vor allem Verwandte. Ich habe zum einen im Gasthaus gearbeitet, zum anderen diesen Verwandten geholfen, habe für sie gedolmetscht, bei Behörden, oder beim Elternabend in der Schule. Ich war gefühlt 24 Stunden am Tag im Einsatz. Irgendwann war mir alles zu viel und nach einem Streit mit meinem Onkel bin ich nach Wien gegangen. Dort bin ich dann sehr schnell auf die schiefe Bahn geraten.

Ich war 24 wie ich meine erste Droge zu mir genommen habe und das war gleich Heroin und ich bin sehr sehr süchtig geworden. Beim ersten Mal hab ich es gesnifft, beim zweiten Mal schon gespritzt. Dann hat die Hölle begonnen.

Ich hab das Heroin von einem Freund aus Bosnien bekommen, wenig später habe ich meine Exfrau kennen gelernt, eine Bosnierin, in Deutschland geboren, und sie ist dann durch mich süchtig geworden. Und kriminell.

1993 wurden wir das erste Mal verhaftet und wie der Polizist gefragt hat, wie viel Geld wir am Tag brauchen, habe ich gesagt 500 Schilling. Das war das Niedrigste, aber wie er das hochgerechnet hat auf ein Jahr, waren das doch über 180.000 Schilling und da hat er natürlich gefragt: Wie kommen Sie zu so viel Geld?

1994 sind wir nach Kroatien abgeschoben worden und lebten dort bei meinen Eltern. Aber es war die Zeit, in der die Mobilisierung angefangen hat für die Befreiung der eroberten Gebiete. Damit sie mich nicht einziehen, sind wir abgehauen und nach Deutschland gegangen. Zwei, drei Jahre waren wir clean, ich hab bei McDonalds gearbeitet, unser erster Sohn ist zur Welt gekommen. Aber dann: Wieder süchtig, wieder kriminell.

 

Wir sind nach Österreich zurück, trotz Aufenthaltsverbot. Wir haben Ladendiebstähle begangen. Wir haben Geld von Freunden und Verwandten ausgeborgt und nie zurückgezahlt. Wir haben Handtaschen gestohlen, nach Kreditkarten und Bankomatkarten gesucht, und nach einem Zettel oder einem Notitzbuch, wo der Pin-Code notiert ist.

Wir haben sehr viel Geld ausgegeben. Nicht nur für die Drogen, wir haben auf großem Fuß gelebt. Und wir haben unserem Sohn viel gekauft, aus schlechtem Gewissen. Er hat zum Beispiel gesagt, er möchte wieder in das Zuhause mit dem Swimmingpool, und wir sind wieder ins das Hotel in Baden gefahren.

Auf einmal sind wir gesucht worden, mit Fotos in der Kronenzeitung. Über Nacht sind wir nach Kroatien abgehauen.

Auf einmal sind wir gesucht worden, mit Fotos in der Kronenzeitung. Über Nacht sind wir nach Kroatien abgehauen. Meine Frau ist mit dem Sohn nach Spanien weiter, hat dort eine Therapie angefangen, ist dann aber von Interpol verhaftet worden. Da bin ich nach Österreich zurück und habe mich gestellt. Ich habe zwei Jahre bekommen, davon acht Monate fest, also im Gefängnis.

Zwanzig Jahre hat dieses Hin und Her gedauert: Phasen, in denen ich clean war, Phasen mit Drogen und Beschaffungskriminalität. Und vier Mal im Gefängnis. Also vier Mal kalter Entzug. Vier Mal die Hölle.

Kalter Entzug hat geheißen: Ich habe 14 Tage lang nicht schlafen und nichts essen können, nur erbrochen, erbrochen, erbrochen. Und Durchfall, Zittern, Knochenschmerzen, Herzrasen, Albträume. Ich hab ja sehr viel konsumiert und das Heroin war damals purer als heute, deswegen war auch der Entzug heftiger.

Die Wärter können dir da nicht helfen, es gibt auch keine Medikamente. Sie schauen öfter nach dir, ob du noch lebst. Das ist alles.

Eigentlich hab ich nicht vorgehabt, aufzuhören. Es ist geschehen, weil ich einen guten Richter bekommen hab.

 

Eigentlich hab ich nicht vorgehabt, aufzuhören. Es ist geschehen, weil ich einen guten Richter bekommen hab. Der hat mir Therapie statt Strafe angeboten. Das war 2010. Geschafft hab ich es durch die Leute vom Zukunftshof, ein Drogentherapiezentrum in Pressbaum. Auch in Wien gibt es wirklich gute Institutionen, die Suchtkranken helfen, die den richtigen Weg wissen.

Ich konnte in Österreich bleiben und hab als Vertriebsleiter bei einem Medienunternehmen gearbeitet. Nach einem Bandscheibenvorfall war das nicht mehr möglich. Jemand hat mich dann 2022 auf den Peer-Kurs aufmerksam gemacht, und so arbeite ich heute als Peer für Obdach Mobil.

Ich unterstütze Leute mit ähnlichen Erfahrungen wie ich. Leute, die suchtkrank waren und Kinder hatten. Und ich helfe ehemals wohnungslosen Personen in ihrem neuen Alltag mit Wohnung zurecht kommen.

Ein großes Problem ist die Einsamkeit. Auf der Straße bist du mit Überleben beschäftigt, musst dich ständig um Geld, Essen, Schlafplatz kümmern. In der eigenen Wohnung fällt das plötzlich weg, da kapseln sich dann viele ganz ab, verfallen in eine Depression.

Obdachlose haben oft das Vertrauen in andere Menschen verloren. ​

Obdachlose haben oft das Vertrauen in andere Menschen verloren. Da muss ich erst Schritt für Schritt eine Beziehung aufbauen. Ich besuche diese Klienten öfter, telefoniere oft mit ihnen. Ich helfe ihnen, eine Tagesstruktur zu schaffen, motiviere sie zu Aktivitäten, zum Beispiel bei einer der Kreativgruppen vom Forum Obdach. Ich begleite meine Klienten auch zu Ärzten und auf Ämter. Viele kennen sich da nicht aus. Nicht wenige sind psychisch krank, die haben es noch schwerer.

Manchmal wundere ich mich, dass ich das alles überlebt habe. Aber ich bin so ein Mensch, der nicht zurückblickt. Für mich ist wichtig, was heute und morgen passiert. Ich bin zwei Mal glücklich geschieden. Ich bin froh, dass ich einen guten Kontakt zu meinen zwei Söhnen habe. Die sind mittlerweile groß, größer als ich. Der ältere hat schon selbst einen Sohn.

 

Wir gehen gern zusammen ins Stadion. Der eine ist Rapid-Fan, der andere Austria-Fan. Ich versuche gerade, Karten für ein Länderspiel zu bekommen, in Split, Kroatien gegen Frankreich. Da halten wir dann alle zur selben Mannschaft.

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