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LESEZEIT: 08-10 min

haya

Als wir an diesem Punkt waren, wo wir nichts mehr gehabt haben, nicht einmal genug zu essen, da haben meine Eltern entschieden, dass ich, meine kleine Schwester und meine Mama nach Europa flüchten sollen. Wir haben Geld vom Bruder meiner Mama bekommen, der schon lange in Schweden lebt. Wir haben also Schulden gemacht, muss man sagen, und sind los. Zu Fuß und am Meer. Das war im Jahr 2015/2016.

Meine Familie kommt urspünglich aus Palästina, aber ich bin in Syrien geboren. Wir waren eigentlich immer Flüchtlinge. Meine Großeltern sind aus Palästina nach Syrien geflüchtet, dort hab ich bis zu meinem zwölften Lebensjahr gelebt. Mein Papa hat als Goldschmied gearbeitet, als Großhändler.

 

Geld haben wir genug gehabt, wir haben in Damaskus drei große Wohnungen besessen. Es war also super, bis der Krieg gekommen ist.

Geld haben wir genug gehabt, wir haben in Damaskus drei große Wohnungen besessen. Es war also super, bis der Krieg gekommen ist.

Bei Kriegsausbruch sind wir in den Libanon geflüchtet, meine Eltern und wir vier Kinder. Wir haben gedacht, ein, zwei Monate, danach kommen wir zurück. Leider war das nicht mehr möglich. Alles war komplett kaputt. Alles war weg. Wir haben noch ein bissel Geld gehabt, gespart, aber egal wie viel Geld man hat, wenn man nicht mehr arbeiten kann, ist das eines Tages weg. Und als Flüchtling durfte man im Libanon nicht arbeiten.

In den meisten Ländern gelten wir Palästinenser als staatenlos, und wir haben die syrische Staatsbürgerschaft nicht, also wir durften nicht legal nach Europa kommen, wir mussten illegal kommen.

In den meisten Ländern gelten wir Palästinenser als staatenlos, und wir haben die syrische Staatsbürgerschaft nicht, also wir durften nicht legal nach Europa kommen, wir mussten illegal kommen.

Insgesamt hat unsere Flucht drei Monate gedauert. Wir sind in Griechenland einen Monat geblieben bis wir einen Schlepper gefunden haben. Und in der Türkei waren wir auch einen Monat zirka. Dann in Serbien, in Ungarn, tagelang.

 

Wir wollten nach Schweden zur Familie von meiner Mama, aber in Österreich hat uns die Polizei erwischt und wir mussten hier bleiben. Wir haben keine andere Wahl gehabt.

Wir wollten nach Schweden zur Familie von meiner Mama, aber in Österreich hat uns die Polizei erwischt und wir mussten hier bleiben. Wir haben keine andere Wahl gehabt.

Es hat viele gefährliche Situationen auf der Flucht gegeben. Gefährliche Tiere im Wald. Erschöpfung. Ein Mal mussten wir zwei Tage zu Fuß gehen ohne Pause. In Ungarn sind wir im Wald geblieben und wir haben nichts mehr zu trinken gehabt und nichts mehr zu essen. Die Leute haben begonnen, von den Bäumen Blätter zu essen.

Es gab auch Verletzungen. Da war zum Beispiel so eine große Felswand, und es lag Nebel darauf, und wir mussten auf einem Klettersteig rüber, und meine Mama hat dort ihr Bein verletzt. Es war entzündet nach einiger Zeit, aber wir durften keinen Arzt besuchen.

Ein Mal haben uns drei Männer überfallen und wollten unser Geld wegnehmen. Aber Gott sei Dank, wir hatten unser Geld in Griechenland so einem Versicherungsbüro gegeben. Dort lässt man sein Geld, und erst wenn man am Ziel ist, wird es an die Schlepper bezahlt. Wir haben also nix dabei gehabt.

In Ungarn, vor der österreichischen Grenze, waren wir 35 Personen, und nur vier kleine normale Autos haben auf uns gewartet. Auf einmal, ich war so klein und so jung, nimmt mich ein Schlepper und schmeißt mich in einen Kofferraum mit einer anderen Frau, und ich wusste nicht, wo meine Mama und meine Schwester sind. Sie sind so schnell gefahren, und die Frau neben mir, sie schreit und weint, weil sie weiß auch nicht, wo ihre Kinder sind. Das waren die schlimsten drei Stunden meines Lebens. Meine Gedanken waren immer bei meiner Mama, ich hab kein Handy gehabt, keine Nummer, kein nix. Gott sei Dank, als wir an der Grenze waren, ich hab meine Mama wiedergesehen. Sie hat auch die ganze Zeit geweint gehabt.

Wir waren zehn Tage lang in Traiskirchen, in einem Zelt Danach sind wir nach Kärnten geschickt worden, nach Lölling, das ist ein kleines Dorf bei Hüttenberg. Es hat dort nix gegeben, außer so einen kleinen Supermarkt. Die Preise dort waren viel teurer als in der Stadt. Ich weiß nicht, wie unsere Mama uns durchgebracht hat mit so wenig Geld.

Die Busverbindungen waren katastrophal. Wir sind ein Jahr dort geblieben und wir haben kaum Kontakt zu jemanden gehabt oder die Sprache lernen können. Nach einem Jahr haben wir unseren positiven Asylstatus bekommen, Gott sei Dank, und meine Mama hat eine Arbeitsstelle gefunden in einem Gasthaus in Guttaring, als Küchenhilfe.

Ich hab immer so gern gezeichnet, und eines Tages waren Besucher da, die haben das bemerkt, und so habe ich einen Platz in einem Klagenfurter Schülerheim geschenkt bekommen, im Hermagorasheim, in dem alle Schüler etwas mit Kunst zu tun haben. Ich war zwei Jahre in diesem Internat, aber ich konnte die Chance leider nicht gut nutzen, weil es mir nach den Flucht-Erlebnissen psychisch nicht gut ging. Ich hatte Panikattacken und Depressionen.

Ich bin zuerst in eine Schule für Wirtschaft und Mode gegangen, dann ins Gymnasium.

 

Einmal wollte ich eine Lehre als Augenoptikerin machen, aber da war eine AMS-Mitarbeiterin, die war sehr gemein zu mir. Sie hat gesagt: Deine Sprache ist nie genug für eine Lehre. Oder sie hat gefragt: Welche Bücher liest du denn, Bücher über Mord und Religion? Sie war schrecklich. Also hab ich lieber die Schule weiter gemacht.

Einmal wollte ich eine Lehre als Augenoptikerin machen, aber da war eine AMS-Mitarbeiterin, die war sehr gemein zu mir. Sie hat gesagt: Deine Sprache ist nie genug für eine Lehre. Oder sie hat gefragt: Welche Bücher liest du denn, Bücher über Mord und Religion? Sie war schrecklich. Also hab ich lieber die Schule weiter gemacht.

2017 habe ich Mustafa kennen gelernt, und das hat mir echt viel geholfen, eine emotionale Unterstützung zu haben. Ich hab angefangen, die Sprache besser zu lernen. Ich war 16 Jahre alt, er 21. Wir haben uns im Internet kennengelernt, danach haben wir uns getroffen und uns langsam wirklich kennengelernt, am Anfang als Freunde, dann waren wir beide verliebt.

Ich habe Matura gemacht, ich habe den Führerschein gemacht, und einen Job gesucht. Das war schwierig. Meistens hat es geheißen, du hast keine Erfahrung, du bekommst keinen Job bei uns. Aber woher soll man Erfahrung haben, wenn man gerade erst aus der Schule kommt? Oder sie haben gesagt, du hast einen Akzent, du bist ein Flüchtling, also lieber nicht.

 

Einen Monat lang habe ich auf einer Tankstelle gearbeitet, von vier Uhr Früh bis halb drei am Nachmittag, sechs Euro die Stunde. Hauptsache, ich hab einen Job, hab ich gedacht, aber es war dann so schlimm, weil es kamen in der Früh immer diese Alkies, die Übriggebliebenen vom Nachtleben, und die sind sehr aufdringlich geworden mit ihren Komplimenten. Ich konnte das also nicht länger machen.

Heute studiere ich an der Uni, Bildungs- und Erziehungswissenschaften, und habe zwei Teilzeitjobs. Ich arbeite in Görtschach in einem Heim für geflüchtete Kinder und Jugendliche. Ich bin die einzige Betreuerin dort, die Arabisch spricht, das heißt, ich arbeite dort hauptsächlich als Dolmetscherin. Und einen Tag in der Woche bin ich Büromitarbeiterin und Dolmetscherin für die VHS in einem Projekt vom Österreichischen Integrationsfond.

Was macht mich traurig und was gibt mir Mut? Ich würd für beides sagen: Meine Erfahrung, meine Geschichte.

 

Was macht mich traurig und was gibt mir Mut? Ich würd für beides sagen: Meine Erfahrung, meine Geschichte.

Das ist schwer zu erklären. Wenn ich über spezifische Situationen nachdenke, was da mit uns passiert ist, macht mich das traurig. Aber trotzdem habe ich auch das Gefühl, dass ich es gut gemacht hab. Und dass ich auf einem guten Weg bin. Außerdem bin ich nicht allein: Mustafa und ich haben dieses Jahr geheiratet. Er hat ja auch eine Fluchtgeschichte, aber die erzählt er besser selbst.

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