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mustafa

LESEZEIT: 13-15 min

Ich kenn mich nicht aus in Europa. Ich weiß nicht einmal, wo Österreich liegt. Aber mein Freund sagt: Du kannst mitfahren, du brauchst nur etwas Geld. Und ich denke: Ja, besser als Autobomben in Bagdad. Und besser als geschlagen werden auf der Straße in Istanbul. Also fahr ich mit. Das war im Jahr 2015. Ich hab gedacht, es wird eine normale Reise.

Wir haben kein schweres Leben gehabt in Irak, es war ganz normal. Dann ist Saddam Hussein weg, die Amerikaner sind zu uns gekommen und wir sind nach Syrien geflüchtet. Wir waren viereinhalb Jahre in Damaskus, dann hat es vom Irak geheißen, es geht jetzt wieder, wir können zurückkehren, meine Eltern, mein Bruder, meine Schwester und ich.

Mein Bruder Hussam, er ist 13 Jahre älter, der war bei der Irakischen Polizei. Und bei uns, wenn jemand etwas Höheres ist bei der Polizei, das ist ganz schlimm. Da heißt es schnell: Der arbeitet  mit den Amerkianern, der gehört getötet.

Eines Tages hat der Hussam vor unserem Haus gewartet und mit unseren Nachbarn geredet, auf einmal ist auf der Straße ein Auto stehengeblieben, Männer mit Waffen, und die haben ihn mitgenommen. Und die Freunde auch gleich. Drei im Kofferraum, einer vorne. Einer der Freunde war Mechaniker, der hat den Kofferraum während der Fahrt von innen aufgemacht. Sie sind dann auf der Autobahn rausgesprungen und haben sich dabei alles mögliche gebrochen, Füße, Schulter, die Haut aufgerissen, alles sehr schlimm, aber besser als tot.

Dort, wo sie rausgesprungen sind, da war eine amerikanische Polizeikontrolle, also sind mein Bruder und seine Freunde ins Krankenhaus gekommen.

Wir zu Hause haben nichts von Hussam gehört und gedacht, er ist schon gestorben. Nach drei Tagen hat sich die Familie versammelt zu einer Begräbnisfeier. Und auf einmal kommt ein amerikanisches Polizeiauto und der Hussam steigt aus. Wir sind alle draußen und betrauern ihn gerade, und auf einmal steht er da, überall mit Verband wie eine Mumie.

Zwei Tage später haben wir erfahren, dass sie den Freund, der im Auto geblieben ist, getötet haben. Aber wie! Mit dem Messer, mit der Bohrmaschine, echt schrecklich. Wir sind in einen anderen Stadtteil gezogen, aber irgendwann haben sie den Hasan wieder gefunden und wieder entführt. Dieses Mal haben wir ihn mit Vermittlung eines Imans mit Lösegeld frei bekommen.

Zwei Monate später haben sie eine Bombe unter seinem Auto angebracht, direkt unter dem Sitz vom Fahrer, mein Vater hat das zum Glück entdeckt. Aber die geben nicht auf. Als nächstes ist einer mit so einem Gemüsewagerl dahergekommen, um drei Uhr in der Früh, und auf diesem Wagerl waren zwei Fliegerbomben, die richtet er direkt gegen unser Haus. Er hat eine LKW-Batterie mit, da will er die Kabel anschließen. Unser Nachbar war gerade zum Gebet am Dach oben, der hat das gesehen und die Wache arlamiert. Die Amerikaner und die irakische Polizei sind gekommen. Sie haben gesehen, da hat nur noch ein Kabel gefehlt und unser Haus und die Häuser von den Nachbarn wären weg gewesen.

 

Da hat mein Vater gesagt: Es reicht,

wir können nicht in Bagdad bleiben.

 

Da hat mein Vater gesagt: Es reicht, wir können nicht in Bagdad bleiben.

Wir sind nach al-Anbar gefahren. Wir haben dort keine Arbeit gehabt, also sind wir nach einem Jahr in unser Haus zurück. Nicht alle: Der Hussam ist nach Erbil gegangen. Wir haben gesagt: Okay, die wollen Hussam, die wollen nicht uns. Aber eines Tages, als ich von der Schule zurückkomme, liegt da ein Stein mit einem Brief vor unserer Türe. Es war eine Patrone drinnen und eine Nachricht, mit Blut geschrieben: Wenn Hasan nicht zurückkommt, dann nehmen sie mich.

Da hat mir mein Vater ein Visum besorgt, hat mir 1.500 Dollar gegeben, und so bin ich mit sechszehn nach Istanbul gekommen, ganz allein, ohne jemanden zu kennen. Es war nicht leicht, aber schließlich habe ich eine billige Wohnung gefunden und eine Arbeit. Ich hab Verpackungen für Geschenke gemacht, aus Holz. Ich hab die Sprache gelernt, hab echt gut türkisch gesprochen. Nach zwei Jahren hab ich eine größere Wohnung gemietet, aber die Gegend war etwas schlecht.

Die Straße, in der ich gewohnt hab, hat einem von der Mafia gehört. Und einmal haben mich dort komische Leute mit Waffen bedroht, mich geschlagen und auf die Straße geschmissen.

Ich hab nicht lang überlegt, wie der Freund gefragt hat, ob ich mitgehe nach Europa. Wir sind nach Izmir gefahren. Wir haben jeder 1.400 Euro bezahlt.

 

Ich hab gedacht, wir fahren mit einem normalen Boot, es wird eine normale Reise.

Und dann sind wir in der Nacht zum Meer gekommen und das Boot war ein einfaches Schlauchboot und wir waren fünfzehn Personen.

Ich hab gedacht, wir fahren mit einem normalen Boot, es wird eine normale Reise. Und dann sind wir in der Nacht zum Meer gekommen und das Boot war ein einfaches Schlauchboot und wir waren fünfzehn Personen.

Es war gerade groß genug für uns. Aber dann ist ein Bus mit anderen Geflüchteten dahergekommen, Afrikaner, Afghanen, von überall her. Schließlich waren wir 48 Personen in diesem Schlauchboot.

Wir haben zehn Liter Benzin mitbekommen und sie haben gesagt: Fahrt einfach nur gerade aus, und dann kommt ein Berg, und dann kommt ein gelbes Licht oben. Kinder waren mit, ältere Leute, Frauen, die haben geweint. Ich hab auch Angst gehabt und ich hab meinen Freund so angeschaut: Danke, da hast du uns in eine echt blöde Situation gebracht.

Der, der das Boot fährt, fährt gratis, aber er hat keine Erfahrung. Und wir fahren, fahren, fahren, sehen keinen Berg, es ist mitten in der Nacht, und rundherum nur schwarzes Meer. Wir fahren die ganze Zeit nur im Kreis, und wir wissen das nicht, das ist ein Meer, wie sollen wir das wissen. Also sind wir zur falschen Insel gefahren.

Einen Kilometer vor der Insel hat der Fahrer mit einem Messer das Boot kaputt gemacht. Damit uns niemand zurückschicken kann. Wir sind alle im Meer drinnen, das ist eine Stunde, ein Kilometer, sagt er, aber das ist nicht so, wenn du am Meer bist. Ich bin geschwommen und geschwommen, hab mich auf den Rücken gelegt, um auszurasten, dann bin ich weiter geschwommen. Zum Glück ist niemand gestorben.

Die Insel war eine griechische Militärinsel. Die kommen also mit den Militärautos und richten die Waffen auf uns und so. Dann haben sie uns mitgenommen, in Picups, zu einem Flüchtlingscamp.

 

Das war wie ein Gefängnis. Oder schlimmer, es gab nicht einmal ein richtiges WC, Dusche auch nicht, Kakerlaken überall, kein Bett, kein Zelt, du schläfst in einem Container am Boden.

Das war wie ein Gefängnis. Oder schlimmer, es gab nicht einmal ein richtiges WC, Dusche auch nicht, Kakerlaken überall, kein Bett, kein Zelt, du schläfst in einem Container am Boden.

Wir waren drei Tage dort, dann haben wir schon den Bescheid gekriegt, wir können weiter. Ich hab meine Papiere verloren im Meer, aber wir haben einen Zettel bekommen, wo unser Name draufsteht, so eine Art Ausweis, damit konnten wir uns frei bewegen. Wir haben den nächsten Schlepper gefunden. Wir sind zehn Tage zu Fuß in den Wäldern unterwegs gewesen. War jetzt nicht so schlimm. Wir haben vorher Essen kaufen können und Essen mitgehabt, weil mein Geld hab ich in so Plastikhandschuhen gepackt gehabt, damit es nicht nass wird.

Im Wald zu schlafen oder in Abbruchhäusern, das war manchmal sehr unheimlich. Einmal ist da eine Schlange in meinem Schafsack, so groß wie ich. Einmal kommen Bekannte von einem Schlepper, so Mafia-Typen, und die machen ihren Spaß mit uns, aber weißt eh wie Spaß: Die haben uns gehaut und so.

Bei der ungarischen Grenze erwischt uns die Polizei, aber wir laufen weg. Die Ungarn sind schlimm, die schicken einen sofort zurück und man muss bei Null anfangen. Wir laufen, wir laufen, wir laufen. Die haben Hunde mit, und die laufen alle hinter uns, und wir laufen wie die Hasen, und dann klettern wir über einen Zaun, so zwei Meter hoch. Auf der anderen Seite kommt ein Kombi, der Fahrer sagt: Kommt, kommt, kommt schnell, wirklich, wie im Film. Wir rein ins Auto, irgendwie, einer vorne, einer irgendwo, und schon fahren wir. Und da hat der Fahrer gesagt: Welcome in Austria!

Wo? Was? Ich weiß überhaupt nix.

Das war am 1. Juni 2015.

Wo? Was? Ich weiß überhaupt nix. Das war am 1. Juni 2015.

Unser Ziel war ja Finnland. Aber meine Kraft war am Ende. Die Freunde sind weiter nach Schweden, und ich bin nach Traiskirchen. Ich schlaf in einem Zelt, auf so einem Bundesheer-Bett. Jeden Tag schau ich auf die Liste für einen Transfer, ob mein Name draufsteht. Und nach drei Wochen ist es so weit: Da steht mein Name und da steht Klagenfurt. Ich hab keine Ahnung, wo der Klagenfurt liegt. Egal.

Nach einem halben Jahr hab ich einen Kärntner kennen gelernt, den Mario, der dann ein Superfreund von mir geworden ist. Der hat gesagt: Du kannst zu uns kommen, du kannst bei mir arbeiten, da kannst ein bissl Deutsch lernen. Um die Zeit hat es noch keine Kurse gegeben und so. Und so bin ich auf einmal in die Gastronomie gekommen, das war witzig. Und so hab ich Deutsch gelernt: Kleiner Brauner, Großer Brauner, a Kriagal. Die wichtigen Sachen.

 

Ich hab in der Zeit super Deutsch gelernt.

Auch die Dialekte. Ohne Kurs.

Ich hab in der Zeit super Deutsch gelernt.  Auch die Dialekte. Ohne Kurs.

Anfang 2017 hab ich auch die Haya kennen gelernt, über Snap-Chat, aber das hat sie eh schon erzählt in ihrer Geschichte. Wir haben uns so Schritt für Schritt kennen gelernt, bei uns Arabern geht das nicht so direkt. Im Mai 2022 haben wir geheiratet.

Der Mario arbeitet auch bei der Kärntner Volkshochschule, und er hat gesagt: "Wir brauchen einen Übersetzer für Arabisch-Deutsch." Ich hab dort auf Honorarbasis gearbeitet, und jetzt, wo ich nach sechs Jahren den positiven Asylbescheid bekommen hab, bin ich dort angestellt.

Ich bin noch in Kontakt mit meiner Familie, sie ist auch geflohen und lebt jetzt in der Türkei.

 

Mein Bruder ist nach mir auch nach Österreich gekommen, aber sie haben nicht geglaubt, was ihm in Irak alles passiert ist. Er hat alles gezeigt, die Schusswunden, die gebrochene Hand, aber sie haben ihm nicht gegelaubt und ihn abgeschoben. Heute lebt er in Belgien.

Mein Bruder ist nach mir auch nach Österreich gekommen, aber sie haben nicht geglaubt, was ihm in Irak alles passiert ist. Er hat alles gezeigt, die Schusswunden, die gebrochene Hand, aber sie haben ihm nicht gegelaubt und ihn abgeschoben. Heute lebt er in Belgien.

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